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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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steckte die Spitze des Schraubendrehers so tief wie möglich in den Türspalt und versetzte ihm heftige Hammerschläge. Irgendwann verbog das Metall und hob sich. Er setzte die Spitze seines Werkzeugs darunter und hebelte.
    Endlich gab das Schloss nach. Was Chaplain hinter der Tür entdeckte, entlockte ihm einen triumphierenden Schrei. Mehrere Drucker. Einen Arbeitstisch mit einem Mikroskop, Minen, Pinzetten, Cutter. Regale mit Flüssigkeiten, verschiedenen Tinten und Stempeln. Unter Planen fand er einen Scanner, ein Laminiergerät und ein mobiles Erfassungssystem für biometrische Merkmale.
    Er knipste die Deckenlampe an, löschte das Flurlicht und schloss die Tür. In diesem Keller befand sich eine komplette Druckerwerkstatt. An den Wänden standen verpackte Papierbögen, Plastik zum Laminieren, Toner, Farbwalzen und eine Ultraviolettlampe.
    Und dann geschah das nächste Wunder. Er erinnerte sich. Alle seine Kenntnisse als Fälscher tauchten mühelos an der Oberfläche seines Gedächtnisses auf. So wie man sich an Schwimmbewegungen erinnert, auch wenn man dreißig Jahre lang nur festen Boden unter den Füßen gehabt hat. Aber wie war dieses Phänomen zu erklären? Musste man handwerkliche Kenntnisse gleich neben dem kulturellen Gedächtnis ansiedeln? Oder lag es vielleicht daran, dass er sich des Implantats entledigt hatte? Möglicherweise hatte die schmerzhafte Prozedur sein Gedächtnis befreit?
    Jetzt aber blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Er schaltete die Drucker und alle anderen Maschinen ein. Sofort kehrten die Erinnerungen daran zurück, wie man einen Pass oder ein anderes Ausweispapier scannte, wie man die feinen Inschriften oder fluoreszierenden Linien entfernte, mit denen ein bestimmtes Dokument identifiziert werden konnte, und wie man sie ersetzte. Er erinnerte sich, dass er eigenhändig seine Maschinen so umgebaut hatte, dass sie die feinen Linien kopierten, die dazu dienten, ein Papier fälschungssicher zu machen. Dass er die in Druckern und Scannern integrierten Einrichtungen entfernt hatte, mit denen Fälschungen verhindert werden sollen. Dass er die an jedem Kopierer angebrachten Seriennummern unlesbar gemacht hatte, die für das menschliche Auge unsichtbar anzeigen, aus welchem Gerät eine Reproduktion stammt.
    Jetzt verstand er, warum Yussef ihn nicht erschossen hatte. Er war ein Virtuose seines Fachs. Ein Ass auf seinem Gebiet. Seine Hände waren unbezahlbar.
    Und dann entdeckte er den nächsten Schatz. In einer etwa ein mal ein Meter großen, in Fächer aufgeteilten Holzkiste fand er jungfräuliche Ausweispapiere. Darunter waren die Yussef versprochenen Pässe. In jedem Exemplar steckte ein ordentlich gefalteter Zettel mit Namen, Anschrift und einem Foto des zukünftigen französischen Staatsbürgers. Alle Namen waren slawischer Herkunft, die Konterfeis hätten irgendwelchen Yetis gehören können.
    Chaplain entledigte sich seiner Jacke, schaltete die Lüftung ein und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Er hatte eine Nacht, um dreißig Pässe herzustellen, und konnte nur hoffen, dass mit dem Wissen auch die nötigen Handgriffe, das Geschick und die Sicherheit zurückkamen.
    Er streifte sich Latexhandschuhe über und griff nach den neuen Dokumenten. Es waren Pässe, die alle das Symbol für den integrierten Chip trugen. Das Neueste vom Neuen.
    Jetzt musste er sich an die Arbeit machen und Nonos Haut retten.

F leury-Mérogis, Frauengefängnis.
Geräusche rissen sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Aus dem Flur drangen Rascheln, Worte und Geräusche von Schritten. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr: Es war zehn. Leise stand sie auf und legte ein Ohr an die Tür. Das Stimmengewirr wurde lauter. Die Gefangenen schienen erregt. Freitag schien Besuchstag zu sein.
    Sie wollte gerade wieder ins Bett steigen, als sie zusammenzuckte: Der Schlüssel knirschte im Schloss. Auf der Schwelle stand eine Aufseherin. Nun würde man sie doch in eine andere Zelle verlegen. Oder in ein Verlies werfen. Vielleicht wartete auch der Strafrichter auf sie. All diese Möglichkeiten schossen ihr in Sekundenbruchteilen durch den Kopf.
    »Chatelet. Sprechzimmer.«
    »Habe ich Besuch?«
    »Ja, jemand von deiner Familie.«
    Etwas in ihrer Brust schien zu zerreißen. Familie? Das konnte nur einer sein.
    »Kommst du endlich?«
    Sie streifte ihre Kapuzenjacke über und folgte der Aufseherin. Draußen im Flur erblickte sie merkwürdige Gestalten in Jogginghosen, Tschadors oder Boubous. Gelächter ertönte. Füße in Turnschuhen

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