Der Ursprung des Bösen
sich mit ihm vor dem Asyl verabredet, wo man Männer, Frauen und ganze Familien untergebracht hatte, die ohne Papiere nach Frankreich eingewandert waren und kein Dach über dem Kopf hatten. Aus diesen Menschen bestand die Klientel des Bosniers.
Amar streckte den Arm zwischen den Vordersitzen hindurch und gab Yussef die Pässe zurück.
»In Ordnung«, sagte er.
Die merkwürdigen Mundwinkel Yussefs verzogen sich zu einem Lächeln.
»Du noch immer gut.«
»Morgen bekommst du den Rest.«
»Ist okay, jetzt nicht von Bezahlen reden?«
»Ich bin schon froh, dass ich so davongekommen bin.«
Yussef fächerte die Pässe, als handelte es sich um ein Kartenspiel.
»Unser Nono! Glaubt immer, dass ein bisschen schlauer ist als andere!«
Fasziniert betrachtete Chaplain dieses Fliegengewicht von Mann, das so viel natürliche Autorität verströmte. Yussef trug einen weiten olivfarbenen Pullover aus Beständen der britischen Armee, der an Schultern und Ellbogen mit Stoffapplikationen verstärkt war. Der Mercedes war sein Panzer.
»Aber ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Sicher«, sagte Yussef und beobachtete die Gestalten vor dem Auto.
»Ich brauche eine Waffe.«
»Das aber teuer.«
»Ich biete dir Aufenthaltsgenehmigungen für einen ganzen Transport.«
»Wozu du willst Waffe?«
»Persönliche Gründe.«
Yussef antwortete nicht. Immer noch musterte er die Illegalen, die sich unsichtbar zu machen suchten. Schließlich machte er Amar ein Zeichen. Der Koloss stieg aus. Chaplains Eindruck verstärkte sich: Der Bosnier konnte ihn ganz gut leiden, und das musste auch früher schon so gewesen sein.
Der Kofferraum ging auf.
Die Szene hatte etwas Surreales. Auf der einen Seite die Festung aus Karbon und Edelholz, auf der anderen die Illegalen, die draußen auf der Straße warteten. Der Mercedes diente gleichzeitig als Verwaltungsbüro, Arsenal, Bank und Safe.
»Habe ich dir erzählt, dass ich Probleme mit meinem Gedächtnis habe?«
»Hast du. Auch erzählt, dass du warst sehr durch den Wind.«
»Ich habe keine Ahnung mehr, wie wir uns kennengelernt haben.«
Yussef nickte und zwinkerte. Nonos Problem schien ihn zu amüsieren.
»Ich dich getroffen auf Place de Stalingrad im März. Du mit Kreide auf Boden gemalt. Leute geben dir Geld dafür, du davon leben. Dein Kopf ganz, ganz leer. Du nicht wissen deinen Namen.«
»Und warum hast du mir geholfen?«
»Wegen Bildern, die du gemalt hast. Erinnern mich an stećci , alte Grabsteine bei mir zu Hause.«
Amar kam zurück. Er hielt eine Pistole in der Hand, die er mit dem Lauf nach vorn über den Gangwähler reichte.
»Ist ein CZ 75«, erklärte Yussef. »Arschlöcher in Tschechien machen gute Arbeit.«
Die Waffe unterschied sich von der Glock, aber Chaplain steckte sie in die Tasche, ohne sich weiter darum zu kümmern. Missmutig gab Amar ihm drei Schachteln Munition.
Er wollte sich gerade bedanken, als Yussef mit unverwandtem Blick auf die Leute draußen fortfuhr:
»Du bei uns gewohnt, Freund. Wir dich gewaschen, dir Essen und Bett gegeben. Dein Kopf immer noch leer, aber du gut zeichnen. Du viel gelernt von meinen Fälschern.«
»Beschäftigst du noch mehr Fälscher?«
»Was du glauben? Dass ich auf dich warten, um französischen Staat reich machen?«
»Und ich war einverstanden?«
»Du angefangen zu arbeiten, glupo . Nur zwei Wochen und du waren besser als andere. Du begabt, du Instinkt. Kennen Tinte, Drucken, Stempel …« Er zählte an den Fingern ab. »Du sofort alles kapiert. Ein Monat später, du viel Bezahlung. Du eigenes Labor eingerichtet, ganz allein. Bei anderem Mann ich vielleicht wütend. Aber du – ich dir vertrauen. Deine Arbeit immer pünktlich kommt.«
Nono hatte also länger existiert als die anderen. Von März bis September 2009. Er hatte Zeit gehabt, sich eine Wohnung zu suchen und einen offiziellen Status zu erlangen. Er hatte das Atelier angemietet, ein Bankkonto eröffnet und seine Gebühren bezahlt. Und das alles mit falschen Papieren.
»Und ich habe dir nie meinen Namen gesagt?«
»Nach viel Zeit du gesagt, dass heißen Nono. Du kommen aus Le Havre und dort arbeiten als Drucker. Dummes Zeug. Aber deine Lieferungen immer gut. Nie Probleme. Aber eines Tages du verschwunden.«
Er lachte kurz auf und packte Chaplain am Nacken.
»Saukerl!«
Chaplain verstand das Wunder Mathias Freire immer besser. Wahrscheinlich hatte er sich selbst Papiere auf diesen Namen ausgestellt. Allerdings hätte dies bedeutet, dass er diese Dokumente
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