Der Ursprung des Bösen
bitter. »Ich würde eher sagen, dass er der dreisteste Schweinehund ist, dem ich je begegnet bin. Was wollte er überhaupt?«
»Eine Telefonnummer identifizieren.«
»Sonst nichts?«
»Sonst eigentlich nichts. Wenn ich dir sage, dass er unschuldig ist und auf eigene Faust ermittelt, weiß ich ja ohnehin, was du mir antwortest.«
»Wenn er sich nichts vorzuwerfen hat, soll er sich stellen. Wir tun dann schon unsere Arbeit.«
Mittagessenszeit war fast vorüber. Ein unangenehmer Geruch legte sich wie ein Fettfilm auf die Haut.
Sie betrachtete die Bilder auf dem Bildschirm. Freire, der ihre Hände nahm. In diesem Augenblick hatte er den Zettel zwischen die Finger gleiten lassen, doch das war auf dem Bild nicht zu erkennen.
»Er hat kein Vertrauen«, murmelte sie.
»Ach nein?« Solinas klappte den Laptop zu. »Ich auch nicht. Immerhin wissen wir jetzt, auf wessen Seite du stehst.«
»Tatsächlich?«
»Man hat mir erzählt, dass ihr miteinander schlaft. Ich habe es nicht geglaubt, aber da habe ich mich wohl geirrt.«
»Sag mal, spinnst du? Dieser Mann hat ein unglaubliches Risiko auf sich genommen, um …«
»Genau das meine ich ja. Da, wo ich herkomme, nimmt man solche Risiken nur aus zwei Gründen auf sich: für Kohle oder für einen Fick.«
Anaïs wurde rot, musste aber grinsen. In der ordinären Sprache von Solinas war das ein Kompliment.
»Was hat er dir über das Mädchen gesagt?«
»Gar nichts.«
»Wusste er nicht, dass sie eine Nutte war?«
»Medina Malaoui?«
»Aktenkundig seit 2008. Seit September 2009 ist sie allerdings wie vom Erdboden verschluckt.«
»Habt ihr euch nach ihr umgesehen?«
»Was glaubst du wohl? Die Telefone hier im Gefängnis werden überwacht. Meine Jungs sind natürlich sofort hingefahren, aber sie waren nicht die Ersten. Gleich heute Morgen ist laut Hausmeisterin schon jemand dort gewesen. Der Personenbeschreibung nach könnte es dein Freund gewesen sein. Er und wir suchen also das Gleiche.«
»Nämlich?«
»Vielleicht das hier.«
Solinas legte einen Schnellhefter auf den Tisch. Anaïs kannte diese Art von Akte. So sahen Protokolle von eingestellten Ermittlungen aus. Sie schlug den Hefter auf und erblickte grauenhafte Fotos einer ertrunkenen Frau. Nackt, das Gesicht zerstört, der Unterkiefer aus den Gelenken gerissen, die Finger abgeschnitten.
»Die Leiche könnte die des Mädchens sein. Hast du die Verstümmelungen gesehen? Ganz schön schrecklich.«
»Warum glaubt ihr, dass es sich um Medina handelt?«
»Weil man diese Tote am 7. September aus der Seine gefischt hat. Größe, Haar- und Augenfarbe stimmen überein. Das ist zwar nicht viel, aber meine Jungs haben gesagt, dass ihre Wohnung schon lang nicht mehr benutzt worden ist. Unseren Quellen zufolge ist sie seit Ende August nicht mehr gesehen worden. Daraufhin haben wir alle nicht geklärten Todesfälle seit diesem Datum überprüft. Und das da ist dabei herausgekommen. Wenn du mich fragst, ist sie es.«
Anaïs zwang sich, genauer hinzusehen. Die Verstümmelungen und die Veränderungen durch die Zeit im Wasser hatten die Tote stark entstellt. Ihr vom Wasser aufgedunsenes Gesicht trug Bissspuren von Fischen und Würmern. Die Augenhöhlen sahen aus wie Pestbeulen, der Mund war nur noch eine klaffende Wunde.
Auch Bauch und Gliedmaßen waren aufgequollen. Leichenflecken, Verletzungen und Hämatome verliehen der Haut ein gelblich blaues Leopardenmuster.
»Was genau war die Todesursache?«
»Sie ist nicht ertrunken, wenn du das meinst. Als man sie ins Wasser warf, war sie bereits tot. Laut Gerichtsmedizin hat sie ungefähr eine Woche im Wasser gelegen. Die Leiche ist von der Strömung mitgerissen worden und hat einige ordentliche Stöße abbekommen. Leider ist nicht mehr feststellbar, was man ihr vor ihrem Tod angetan hat und was danach kam. Eines allerdings ist sicher: Dass man ihr den Kiefer herausgerissen und die Finger abgeschnitten hat, sollte die Identifikation erschweren.«
»Gibt es irgendeinen Zusammenhang mit unseren Morden? Ich meine den Modus Operandi.«
»Im Prinzip nicht. Wir haben nicht den geringsten Hinweis auf ein wie auch immer geartetes Ritual, und in ihrem Blut wurde kein Heroin gefunden. Allerdings wurde sie auch erst sehr spät entdeckt.«
»Hatte sie eine Verletzung an der Nase?«
Solinas starrte sie verblüfft an. Der Eingriff an der Leiche von Patrick Bonfils war ihm offenbar nicht bekannt. Anaïs hielt es für besser, das Thema fallen zu lassen.
»Der Doc sagt, dass man ihr das
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