Der Ursprung des Bösen
riesigen Augen an. Wild fuchtelt er mit den Fäusten.
»DIR GEBIETET DAS BLUT DER MÄRTYRER! ZMIŁUJ SIĘ NAD NAMI !«
Franciszka bäumt sich plötzlich auf. Die Hand des Gynäkologen gleitet aus, die Nadel durchsticht das Amnion, das die Zwillinge trennt, und erreicht den zweiten Fötus, der unbeweglich zusammengekauert die perfekte Zielscheibe bietet.
»Scheiße!«
Er reißt die Nadel zurück, doch es ist zu spät. Die Injektion hat das Herz des Föten getroffen. Die Frau betet schluchzend weiter. Speichel rinnt aus ihrem Mund. Sie hat beide Hände über ihrem Bauch gekreuzt.
Der überlebende Zwilling auf dem Bildschirm scheint zu grinsen.
Das Böse hat den Sieg davongetragen.
Kubiela schreckte aus dem Schlaf auf. Sekundenlang hatte er das Gefühl, unendlich verloren zu sein – im freien Fall in einem Raum ohne Konturen und ohne Grenzen. Aber schließlich kam er zu sich. Widersprüchliche Empfindungen suchten ihn heim. In seinem Kopf mischte sich absolute Klarheit mit einer unbestimmten Verwirrung.
»So ist es nicht gewesen«, murmelte er.
Er zog die Maske von den Augen. Die Projektionslampe war so hell, dass er kurz aufschrie und unwillkürlich die Hände vor die Augen hob. Unmöglich, die Lider zu öffnen. Das Licht war zu weiß.
So ist es nicht gewesen . Er wusste es. Schließlich war er Arzt. Zunächst einmal hätte man eine derart nervöse Patientin unter Vollnarkose gesetzt. Außerdem hätten die Spasmolytika die Bewegungen des Uterus unterbunden, und im Übrigen wurde der zu eliminierende Fötus grundsätzlich zuvor anästhesiert. Er konnte sich nicht bewegen wie in seinem Traum, ganz zu schweigen davon, dass er den Kopf drehte.
Langsam senkte Kubiela die Hände und gewöhnte sich an das Licht. Mit zusammengekniffenen Augen nahm er schließlich die Umrisse des Zimmers im grellen Schein der Projektionslampe wahr. Auch die Videokamera auf dem Stativ sah er.
Und jetzt erinnerte er sich.
Der Albtraum war vergessen. Wichtig war jetzt nur noch, was er während des Schlafes getan hatte. Führte er wirklich ein Doppelleben? Nur deswegen hatte er sich in diesem Zimmer eingeschlossen und vor dem Einschlafen die Kamera eingeschaltet. Er wollte den Anderen überraschen. Der reine Wahn !
In diesem Augenblick stellte er fest, dass es ins Zimmer regnete. Medizinische Berichte, Ultraschallfotos und Umschläge lagen auf dem mit Sägespänen und Gips überpuderten Boden und flatterten bei jedem Windstoß.
Aber das war unmöglich ! Er hatte doch alle Öffnungen mit Brettern verbarrikadiert und die Büchse der Pandora versiegelt!
Er sah sich um. Das Fenster zu seiner Linken stand sperrangelweit offen. Die Läden klapperten im Wind. Die Bretter lagen zerbrochen auf dem Boden, als ob ein wildes Tier oder ein Werwolf sie mit roher Gewalt herausgerissen hätte.
Kubiela konnte es nicht fassen. Als er aufstand, um die Kamera zu überprüfen, erstarrte er. Sein Hemd war mit kaum getrocknetem Blut getränkt. Er knöpfte es auf, schlug es auseinander und tastete sich ab. Nein, keine Verletzung. Nicht die Spur einer Wunde.
Es war das Blut eines anderen.
E r riss die Kamera vom Stativ und drückte mit zitternden Fingern den Abspielmodus. Bei dieser Gelegenheit stellte er fest, dass seine Hände sauber waren. Aber das war nur ein winziger Trost. Verbissen forschte er auf dem Grund seines Gehirns nach einer Erleuchtung, einem Beweis, einer Erinnerung, doch er fand nichts.
Er ließ die Aufzeichnung im Schnelldurchlauf abspielen. Der Anfang war richtig komisch. Mit kurzen, abgehackten Bewegungen legte er sich auf seine Matte und schlief tief unter seine Daunendecke gekuschelt ein. Danach passierte erst einmal gar nichts. Fast wie ein Standbild, abgesehen davon, dass er ab und zu zuckte, sich umdrehte oder seine Lage veränderte. Aber er wachte nicht auf.
Er überprüfte den Zähler. Er war in der 94. Minute. Immer noch war nichts geschehen. In der 102. Minute flatterten plötzlich Papiere ins Bild. Der Wind . Jemand befand sich im Zimmer. Kubiela stoppte den Schnellvorlauf und spulte einige Sekunden zurück. Man sah nichts, aber man hörte etwas. Jemand schlug gegen das Fenster. Glas zerbrach. Dann krachten Schläge gegen die Bretter. Kubiela konnte hören, wie das Holz einriss, aus der Verankerung gerissen wurde und ins Zimmer krachte.
Aber alles geschah außerhalb des Bildes. Intuitiv bewegte er die Kamera, als könnte er durch eine Stellungsänderung mehr sehen.
In diesem Augenblick erschien eine behandschuhte
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