Der Ursprung des Bösen
einem Riss in der Windschutzscheibe davon. Äste und Steine donnerten auf das Wagendach, doch er fuhr noch immer weiter. Die Nacht hatte sich in einen Mahlstrom aus Trümmern und Müll verwandelt.
Und plötzlich lag wie durch ein Wunder die Stadt vor ihm. In regelmäßigen Abständen huschten Lichter vorbei. Häuser erzitterten auf ihren Grundmauern. Dachkonstruktionen klapperten. Dann und wann entdeckte er hektische Menschen, die sich bemühten, eine Satellitenschüssel zu verankern, die Scheiben ihrer Autos zu schützen oder ihre Fensterläden zu schließen. Trotz ihres Muts war es verlorene Liebesmühe. Die Natur behielt die Oberhand.
Das Handy auf dem Beifahrersitz läutete. Der Lärm des Orkans war so ohrenbetäubend, dass er es beinahe nicht gehört hätte. Er brauchte mehrere Anläufe, ehe er einschalten konnte.
»Hallo?«
»Wo bist du?«
»In La Rochelle.«
»Ich erwarte dich in der U-Boot-Anlage von La Pallice.«
Die Stimme hallte wie in einer Kirche. Im Hintergrund hörte Kubiela einen dumpfen Lärm in einem wahnwitzigen Rhythmus. Es war der Atem des wütenden Meeres.
»Was ist das?«
»Ein Bunker in der Nähe der Einfahrt zum Handelshafen. Du kannst ihn nicht verfehlen.«
»Ich kenne mich in La Rochelle nicht aus.«
»Sieh zu, wie du zurechtkommst. Geh an der Ostseite des Gebäudes entlang. Die letzte Tür – sie liegt nach Norden hin – ist offen. Ich erwarte dich.«
K ubiela setzte seinen Weg geradeaus fort und erreichte den alten Hafen. Das Erste, was er deutlich erkennen konnte, war eine blinkende elektronische Anzeige. »Sturmwarnung 22.00 Uhr. Halten Sie sich nicht im Freien auf.« Er folgte einem Boulevard und fuhr an einem Hafenbecken entlang, das er für den Jachthafen hielt. Schiffsrümpfe stießen in wildem Durcheinander und mit gekreuzten Masten aneinander. Im Hintergrund donnerten mehrere Meter hohe Wellen über die Kaimauern.
Noch nie hatte Kubiela ein derartiges Schauspiel gesehen. Sturm, Meer und Nacht machten einander die Stadt streitig. Wasser überspülte die Ufer, die Fahrbahn und die Bürgersteige. Er fuhr immer noch. Wie aber sollte er diesen U-Boot-Bunker finden? Wahrscheinlich war es das Vernünftigste, immer an den Hafenbecken entlangzufahren. Irgendwo würde er dann schon ein Hinweisschild finden. In diesem Augenblick sah er im zitternden Rückschlag des Scheibenwischers etwas Unfassbares: Drei Gestalten, bis zu den Knien im Wasser, kämpften gegen den Sturm an.
Doch sofort verschwand die Vision wieder. Fing er etwa an, Gespenster zu sehen? In diesem Augenblick brach der Wagen aus und prallte gegen eine Bordsteinkante. Der Schreck gab ihm neuen Antrieb. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, die Tür zu öffnen. Unnatürliche Wärme schlug ihm entgegen. Sie machte ihm die größte Angst. Die Welt war heißgelaufen, der Erdkern würde explodieren.
Er hatte sich nicht getäuscht. Ein Stück weiter entfernten sich drei Gestalten. Sie stemmten sich mit den Händen in den Taschen gegen den heulenden Sturm. Kubiela folgte ihnen. Die Straßenlaternen schwankten ebenso stark wie die Schiffsmasten. Elektroleitungen rissen wie Gitarrensaiten. Die Erde rutschte unter seinen Füßen weg. Das Meer holte sie zurück.
»Hallo, Sie da!«
Obwohl sie höchstens zwanzig Meter entfernt waren, schienen sie unerreichbar. Schwankend watete er weiter. Es waren zwei Männer und eine Frau, die ihre Handtasche fest umklammert hielt. Alle drei hatten ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.
»Entschuldigen Sie!«
Kubiela war es gelungen, einen der Männer an der Schulter zu berühren. Der Typ wirkte beinahe erleichtert, als er ihn sah; sicher hatte er fast damit gerechnet, eine Laterne oder einen Mastbaum auf den Kopf zu bekommen.
»Ich suche die U-Boot-Anlage von La Pallice.«
»Sind Sie verrückt? Der Bunker ist am Handelshafen, aber da dürfte inzwischen alles unter Wasser stehen.«
»Wie weit ist es?«
»Mindestens drei Kilometer. Aber in die andere Richtung.«
»Ich bin mit dem Auto unterwegs.«
»Mit dem Auto?«
»Zeigen Sie mir bitte die Richtung.«
»Fahren Sie die Avenue Jean Guitton hinunter. Immer geradeaus. Irgendwann ist der Handelshafen ausgeschildert. Wenn Sie den Schildern folgen, landen Sie in La Pallice. Aber ganz ehrlich – ich glaube kaum, dass Sie es schaffen.«
Der Mann sagte noch etwas, aber Kubiela hatte sich bereits umgedreht und watete zu seinem Auto zurück. Doch der A5 war nicht mehr da. Schließlich entdeckte er den Wagen fünfzig Meter weiter in einer
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