Der Ursprung des Bösen
Bahnpolizei und den Pennern, die in der Nähe herumlungern. Unser Freund hat sich vielleicht auch dort herumgetrieben.«
Conante nickte in den hochgeschlagenen Kragen seines Blazers. Anaïs wandte sich an Zak, einen echten Gauner, ehemaligen Junkie und früheren Autodieb, der zur Polizei gekommen war, wie andere in die Fremdenlegion eintreten. Man schließt mit der Vergangenheit ab und fängt wieder bei null an. Sie hatte ihn beauftragt, die Spur des getöteten Stiers zu verfolgen.
An die Wand gelehnt und mit den Händen in den Hosentaschen, begann er mit eintöniger Stimme zu sprechen.
»Ich habe damit angefangen, die Züchter aus den Betten zu holen. Allein in der näheren Umgebung von Bordeaux gibt es zehn Stierzuchten. Wenn wir auch noch die Camargue und die Alpilles in die Suche einbeziehen, kommen wir bestimmt auf vierzig. Aber bisher bin ich noch nicht fündig geworden.«
»Hast du dich auch schon um die Tierärzte gekümmert?«
Zakraoui zwinkerte ihr zu, doch daran störte Anaïs sich nicht.
»Gleich nach dem Aufstehen, Chefin.«
»Schlachthöfe? Großmetzgereien?«
»Bin dabei.«
Er stieß sich von der Wand ab.
»Eine Frage, Chefin. Reine Neugier.«
»Schieß los.«
»Woher willst du wissen, dass es der Kopf eines Kampfstiers ist?«
»Mein Vater war ganz wild auf corridas . Ich habe sozusagen meine Kindheit in Stierkampfarenen verbracht. Die Hörner der toros bravos sehen ganz anders aus als die von normalen Rindern. Es gibt auch noch andere Unterschiede, aber ich werde hier jetzt keinen Kurs abhalten.«
Anaïs war sehr zufrieden mit sich. Sie hatte es fertiggebracht, ihren Vater zu erwähnen, ohne die geringste Gefühlsregung zu zeigen. Ihre Stimme hatte weder gezittert noch sich überschlagen. Trotzdem gab sie sich keiner Illusion hin: Ihre Souveränität heute Morgen kam vom Adrenalin und von der Aufregung.
»Wir reden die ganze Zeit nur von unserem Opfer«, mischte Jaffar sich ein. »Aber was ist mit dem Mörder? Wen genau suchen wir eigentlich?«
»Einen kalten, grausamen Menschen, der andere zu manipulieren versucht.«
»Dann kann ich nur hoffen, dass meine Ex ein gutes Alibi hat«, grinste er und schüttelte den Kopf.
Die anderen lachten.
»Schluss mit dem Blödsinn«, schimpfte Anaïs. »Angesichts der Inszenierung können wir Totschlag oder Mord aus Leidenschaft von vornherein ausschließen. Der Kerl hat nichts dem Zufall überlassen und jedes Detail vorbereitet. Auch ein Rachemotiv kommt meiner Ansicht nach nicht infrage. Was bleibt, ist eigentlich nur Wahnsinn. Kalter, unerbittlicher Wahnsinn mit einem deutlichen Hang zu griechischer Mythologie.«
Sie stand auf. Die Besprechung war beendet – jetzt ging es an die Arbeit. Die drei Kommissare wandten sich zur Tür.
Auf der Schwelle wandte sich Le Coz noch einmal zu Anaïs um.
»Beinahe hätte ich es vergessen: Wir wissen jetzt, wo der Mann mit der Amnesie ist, der im Bahnhof aufgegriffen wurde.«
»Nämlich?«
»Gar nicht weit von hier. In der Klinik Pierre-Janet. Bei den Irren.«
N achdem er in seiner Abteilung Visite gemacht und sich um die Notfälle gekümmert hatte, setzte sich Mathias Freire mittags vor seinen Computer und begann, die von Pascal Mischell gelieferten Informationen zu überprüfen.
Wie schon am Vortag durchforstete er zunächst das Telefonbuch. In Audenge bei Arcachon gab es keinen Pascal Mischell. Auch in der medizinischen Datenbank existierte der Name nicht – weder im Aquitaine noch im restlichen Frankreich. Er rief die Krankenhausverwaltung an und bat den Wochenenddienst, den Namen zu recherchieren. Aber auch bei der Sozialversicherung kannte man keinen Pascal Mischell.
Freire legte auf. Draußen im Park fand ein Boule-Wettbewerb statt. Er hörte das metallische Klacken der Kugeln und das Lachen der Patienten. An den Stimmen konnte Freire erkennen, wer bei dem Spiel mitmachte.
Erneut griff er zum Telefon und rief die Ortsverwaltung von Audenge an. Niemand meldete sich. Natürlich – es war ja Sonntag! Er wählte die Nummer der Gendarmerie und beschrieb den Beamten seinen Fall mit ruhiger Stimme. Der Gendarm am Telefon konnte Freire sofort versichern, dass im Rathaus keine Hélène Auffert arbeitete.
Der Psychiater bedankte sich. Seine Intuition hatte ihn nicht getäuscht. Ohne Vorsatz veränderte der Cowboy seine Erinnerungen oder erfand sie völlig neu. Die Diagnose wurde klarer.
Freire loggte sich ins Internet ein und rief die Liegenschaftskarte von Cap Ferret auf, in der alle derzeitigen
Weitere Kostenlose Bücher