Der Väter Fluch
damit sagen wollte.
Dad kam etwa zehn Minuten später. Er war klein und dünn, hatte dunkle Augen. Den größten Teil seines Gesichts bedeckte ein sauber gestutzter brauner Bart, durchzogen von grauen Haaren. Er wirkte eher verwirrt als zornig. Als sie einander vorgestellt wurden, gab er Decker sogar die Hand. Ernesto ähnelte keinem seiner Elternteile, und Decker fragte sich, ob der Junge vielleicht adoptiert worden war.
Der Letzte im Trio folgte Dad auf dem Fuß. Everett Melrose war ein Rechtsanwalt aus Encino, der sich in der Demokratischen Partei Kaliforniens einen Namen gemacht hatte. Er war gut gebaut, tief gebräunt, hatte genau das richtige Quantum Aufrichtigkeit im Blick und dank seines grauen, gewellten Haars auch die dazu passende Würde im Auftreten. Melrose trug Designeranzüge und wusste, wie man sich geschmackvoll kleidet. Er hatte eine Frau, sechs Kinder und war aktives Mitglied seiner Kirchengemeinde. Im Lauf der Jahre hatte er einige große Gangster verteidigt und war trotzdem ganz nach oben gekommen. Soweit Decker wusste, war Melroses Vergangenheit absolut sauber. Eigentlich unglaublich - ein Verteidiger und Politiker, der nichts zu verbergen hatte. Er schüttelte jedem im Raum die Hand und bat dann darum, mit seinem Klienten, dem jungen Ernesto, allein sprechen zu dürfen.
Seiner Bitte wurde stattgegeben.
Die folgenden zwanzig Minuten vergingen schleppend und waren spannungsgeladen. Als beide in Rektor Williams' Generaldirektorenbüro zurückkehrten, wirkte Ernesto aufgebracht, aber Melroses Miene war unergründlich. Er sagte zu Decker: »Können Sie mir den Grund für diese Festnahme nennen?«
»Ihr Klient hatte einen gestohlenen Kelch in seinem Besitz...«
»Haben wir schon festgestellt, dass es sich um einen gestohlenen Kelch handelt?«, fragte Melrose mit unschuldiger Miene. »Mein Klient behauptet nämlich, dass es sich bei dem Kelch um ein Familienerbstück handelt.«
»Mr. Melrose, der Kelch gehörte der Bet-Yosef-Synagoge, die heute Morgen verwüstet wurde...«
»Das ist unmöglich!«, unterbrach Jill.
»Meinen Sie mit unmöglich, dass die Synagoge verwüstet wurde oder dass Ihr Sohn an einem derartigen Verbrechen beteiligt sein könnte?«
»Antworten Sie nicht darauf!«, warnte Melrose sie.
»Ernesto, was ist hier los?«, fragte Carter.
»Ich wünschte, ich wüsste es, Dad.« Ernesto schaute zu Boden.
Ein guter Bluff, aber nicht gut genug, »Der Kelch wurde in Ernestus Rucksack gefunden«, sagte Decker. »Das ist eine Tatsache. Dr. Dahl kann es bezeugen.«
»Hat er Ihnen die Erlaubnis erteilt, seinen Rucksack zu durchsuchen?«
»Ganz im Gegenteil«, erklärte Ernesto.
»Es tut nichts zur Sache, ob du es ihm erlaubt hast oder nicht!«, brauste Carter Golding auf. »Ich wüsste gern, wie der Kelch in deinen Besitz kommt!«
»Sie sagen also, es handelt sich nicht um ein Familienerbstück?«, bemerkte Decker. »Carter, bitte!«, intervenierte Melrose. »Er sagt überhaupt nichts. Er ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Ich stelle nur fest, dass niemand hier die Erlaubnis hatte, Ernestos Rucksack zu durchsuchen!«
Dr. Williams meldete sich zu Wort. »Die Richtlinien der Schule besagen, dass Angehörige des Lehrkörpers jederzeit dazu befugt sind, Schränke und persönliche Gegenstände eines Schülers zu inspizieren, um Schmuggelware oder illegale Substanzen ausfindig zu machen. Mr. Golding kennt diese Richtlinien. Er hat eine Ehrenerklärung unterschrieben, in denen er diese Richtlinien anerkennt und das Versprechen ablegt, sie einzuhalten. Das Gleiche gilt auch für Mr. und Mrs. Golding. Es ist eine Voraussetzung für den Besuch dieser Schule.«
»Lieutenant Decker ist kein Angehöriger des Lehrkörpers.«
»Aber Dr. Dahl«, konterte Decker. »Sie hat Ernesto die Anweisung gegeben, seinen Rucksack zu öffnen.«
Einige Sekunden blieb es still. Dann wandten Melroses neugierige Augen sich Jaime Dahl zu. »Wenn Sie regelmäßig Kontrollen auf der Suche nach Schmuggelware durchführen, dann haben Sie auch eine Liste, die definiert, was darunter zu verstehen ist, oder?«
»Natürlich.«
»Und werden dort alle Gegenstände aufgeführt, die unter diesen Begriff fallen?«
»Gestohlene Gegenstände sind Schmuggelware«, warf Williams ein.
»Ein solcher Kelch ist nicht illegal.«
»Der gestohlene Kelch ist es aber«, sagte Decker.
»Ihrer Aussage nach, Lieutenant, wurde ein silberner Kelch aus einer Synagoge als gestohlen gemeldet«, erklärte Melrose. »Woher wollen Sie
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