Der Väter Fluch
Decker räusperte sich. »Kann es sein, dass dir der Mistkerl, der dich damals belästigt hat, mehr angetan hat, als du uns gesagt hast?«
Wieder lief Jacob rot an. »Ich habe euch alles erzählt, an das ich mich erinnern kann. Aber es können Sachen passiert sein, die... die ich einfach total verdrängt habe. Ich war erst sieben Jahre alt, also... du weißt schon.«
Decker spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Was hatte dieses Schwein dem Jungen angetan? Äußerlich ruhig, fragte er: »Hast du darüber auch mit Dr. Dashoff gesprochen?«
»Bruchstückhaft. Wann immer ich mich an etwas erinnern kann.« Jacob schenkte ihm ein knappes Lächeln. »Wolltest du nicht etwas über Ruby Ranger wissen?«
Decker war froh, das Thema zu wechseln. Konnte das ein Anzeichen von Schwäche sein, dass er der Sache nicht weiter auf den Grund gehen wollte? Oder versuchte er nur, das Ganze auf eine rationale Ebene zu bringen und solche emotionalen Dinge am besten einem Fachmann zu überlassen? Er war eben auch nur ein Mensch, und irgendwann erreichte er die Grenze dessen, was er an einem Tag verkraften konnte. »Was kannst du mir über sie erzählen?«
»Rein objektiv betrachtet ist sie clever - ein Computermensch. Ich möchte wetten, dass sie auch als Hacker Erfolg hat. Sie ist so sexy, dass die Typen bei ihr Schlange stehen - wenn man den düsteren Gothic-Look mag. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie Er- nesto dazu überredet hat, die schul zu verwüsten. Auf so was fährt sie voll ab. Aber sie würde sich nie selbst die Hände schmutzig machen. Das ist nichts für sie. Sie steht auf Manipulation - andere dazu zu bringen, dass sie ihre pathologischen Ideen ausführen.« Er grinste. »Jetzt klinge ich schon selbst wie ein Seelenklempner, oder?«
»Du hast den Fachjargon gut drauf.«
»Gelernt ist gelernt...« Er schaute Decker an. »Wenn du sie siehst, richte ihr von mir aus, dass sie zur Hölle fahren kann.«
»Sie wird vernommen werden, aber nicht von mir.«
»Verstehe«, lächelte Jacob, »Interessenskonflikt.«
»Genau.«
»Tut mir Leid, dass ich so eine Last für dich bin. Aber tröste dich - in sieben Monaten bist du mich los. So lange kannst du sicher noch durchhalten.«
»Ich will dich überhaupt nicht loswerden, Jacob.«
»Klar, Dad.« Sein Lächeln war bitter. »Im Grunde freue ich mich auf die Johns Hopkins und darauf, auf eigenen Beinen zu stehen. Und ich werde niemanden erschießen. Obwohl ich der Welt wahrscheinlich einen Gefallen täte, wenn ich Ruby Ranger umlege.«
»Das ist nicht witzig, Jacob.«
»So hab ich's auch nicht gemeint, Dad.«
11
Das Zusammenbauen und Lackieren von Bücherregalen gab Decker die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen - statt seines Geistes konnte er zur Abwechslung mal seinen Körper einsetzen. Gegen zwei Uhr morgens waren die chemischen Dämpfe aus der benachbarten Reinigung so unerträglich geworden, dass die Putzkolonne es für diese Nacht gut sein ließ. Rina schlief in dem Moment ein, in dem ihr Kopf das Kissen berührte, aber Decker wälzte sich unruhig hin und her, träumte immer wieder von aufsässigen Jugendlichen, einschließlich seines eigenen Stiefsohns. Gegen halb sechs wachte er unvermittelt auf - draußen war es noch dunkel - und vertrieb seine Müdigkeit mit drei Tassen Espresso. Um sechs Uhr nahm er Gebetsschal und Gebetsriemen und eilte zur Synagoge, um sich den Männern beim Morgengebet anzuschließen - eine Seltenheit, denn normalerweise konnte ihr kleines Gotteshaus um diese Uhrzeit nicht genügend Leute zusammenbringen. Doch die Ereignisse des vorangegangenen Tages motivierten die Gemeinde, sich noch mehr Mühe zu geben.
Unmittelbar vor Beginn des Gottesdienstes strömte die Hälfte von Yonkies Schulkameraden - einschließlich Yonkie selbst - in die Synagoge. Einige hatten sogar Gebäck und Saft als Dank für ihre Teilnahme mitgebracht. Die Atmosphäre war ausgesprochen familiär, und jeder schien freundlicher als sonst zu sein, geselliger... und viel ernsthafter im Gebet. Gegen acht Uhr, nachdem sämtliches Gebäck aufgegessen war, verließen die Männer die Synagoge, um ihren Arbeitstag zu beginnen. Genau in dem Moment kam Rina in Begleitung einiger anderer Frauen herein. Sie hatten Eimer, Bürsten, Putzlappen und jede Menge Klebeband dabei, um die Fetzen der zerrissenen heiligen Bücher wieder zusammenzukleben. Decker half ihnen, die Putzutensilien abzustellen.
»Ich hab die Synagoge noch nie so sauber gesehen«, sagte er zu seiner Frau.
»Fast, als ob
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