Der Väter Fluch
nichts geschehen wäre«, erwiderte Rina. »Was ist nur in diesen Jugendlichen gefahren? Warum um alles in der Welt hat er so etwas Schreckliches getan? Ich weiß, dass du mir darauf keine Antwort geben kannst. Ich frage mich einfach nur laut.«
»Ich stehe genau wie du vor einem Rätsel, Liebes.«
Rina betrachtete ihren Mann. »Du siehst müde aus, Peter.«
»Mir geht's aber ganz passabel.« Decker lächelte zur Bestätigung. »Wie machst du das nur, dass du so toll aussiehst? Das ist ungerecht.«
»Das Zauberwort heißt Foundation - damit deckt man die dunklen Ringe unter den Augen ab.«
»Aha.«
»He, du trägst deine Brille ja gar nicht!«
»Noch brauche ich keine Brille!«, behauptete Decker eigensinnig. »Nur für das Kleingedruckte auf Medikamentenpackungen. Man soll nichts übertreiben.«
Rina lächelte. »Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?«
»Nein, noch nicht.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, flüsterte ihm eine Liebeserklärung ins Ohr und küsste ihn. Dann reichte sie ihm eine Papiertüte. »Ich hab dir was für Mittag eingepackt. Vergiss bitte nicht, es zu essen.«
»Das war noch nie ein Problem... zu essen.«
Sie kniff ihn zärtlich in den Bauch. »Allerdings.«
»Weiter unten, Süße.«
»Hör auf, so zu reden.« Rina lächelte. »Wir sind in einem Gotteshaus.«
Decker lachte und umarmte sie. Sie fühlte sich verspannt an. »Übertreib es nicht mit dem Putzen, Rina. Das schadet nur den Muskeln, die sind so was nicht gewöhnt.«
Sie befreite sich aus seiner Umarmung und rieb ihre Schulter. »Das weiß ich.«
»Ich werde dich an das >Weiter unten, Süße< erinnern«, sagte Decker. »Heute Abend.«
»Na, das will ich doch hoffen.«
Decker zwinkerte ihr noch einmal zu und ging zu seinem Wagen. Bevor er den Motor anließ, rief er erneut bei den Goldings an. Als wieder niemand abhob, hinterließ er eine weitere Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er hatte schon fast den Parkplatz des Reviers erreicht, als er einem Impuls folgte, in der Straßenmitte unerlaubt wendete und wieder zurückfuhr, bis er das Viertel erreichte, in dem die Goldings residierten - eine feudale Wohngegend mit exklusiven, freistehenden Häusern auf großen Grundstücken. Die Wohnanlage besaß ihre eigenen Tennisplätze, Schwimmbäder, Saunaanlagen, Whirlpools, Fitnesscenter und ihre private Schutzpatrouille. Während Decker auf der Suche nach der richtigen Adresse langsam durch die Straßen fuhr, setzte sich ein blauweiß gekleideter Mann vom Sicherheitsdienst mit seinem Wagen neben ihn und bedeutete ihm anzuhalten, um seine Personalien zu überprüfen. Decker zeigte seine Dienstmarke. Der Wachmann nickte, parkte seinen Wagen in der Mitte der Straße, stieg aus und zeigte Decker den Weg zum Anwesen der Goldings.
Ernesto wohnte in einem Haus, das an einen großen Berg aus schmelzendem Schokoladeneis erinnerte. Es bestand aus Lehmziegeln und hätte in Santa Fe wahrscheinlich phantastisch ausgesehen, aber in einer Straße mit Häusern im traditionellen Tudor-, Kolonial- und mediterranen Stil wirkte das Gebäude seltsam unfertig. Das Ganze sah aus wie ein Projekt, mit dem man noch gar nicht richtig begonnen hatte. Der Bereich vor dem eigentlichen Haus bestand aus einer Ansammlung von Felsbrocken und Steinen, die zusammen mit verschiedenen Kakteen in Sandbeeten platziert worden waren. Daneben fanden sich aber auch Eiskraut als Bodendecker und andere mintgrüne Blattpflanzen. Zwei kleine Krüppelkiefern flankierten eine alte, geschnitzte Holztür -den Eingangsbereich.
Decker klopfte, rechnete aber nicht mit einer Antwort. Zu seiner Überraschung öffnete Carter Golding die Tür, während Jill über seine Schulter schaute. Und noch überraschender war die Tatsache, dass sie so taten, als freuten sie sich, ihn zu sehen.
Wir wollten Sie gerade anrufen.
Decker wurde ins Haus gebeten.
Das Hausinnere wirkte luxuriös und geräumig und basierte auf einem offenen Grundriss: Die einzelnen Räume und Bereiche waren nur durch entsprechende Möbel und Wandschirme voneinander getrennt. Auch die aus braunen Lehmziegeln gefertigte Treppe zu den oberen Geschossen stand frei im Raum. Die lehmfarbenen, grob strukturierten Wände besaßen winzige Fensteröffnungen, durch die jedoch viel Licht fiel. Gedämpfte Farben beherrschten den Raum, hauptsächlich deshalb, weil die Polster von Sofa und Sesseln schon ziemlich verschossen und verschlissen waren. Das Ganze wirkte alles andere als streng strukturiert und
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