Der Väter Fluch
Wange und setzte sie wieder ab. »Ich hab Hunger«, beschwerte sie sich. »Wo ist Eema?«
»Am Flughafen.« Sie setzte sich wieder vor den Fernseher. »Kannst du mir was zu essen bringen?«
»Wer passt auf dich auf?«
»Yonkie.«
»Und wo ist Yonkie?«
Die Kleine zuckte die Achseln. »Kakao und Chips?«
»Hast du schon Abendessen gekriegt?«
»Kein richtiges wie bei Eema. Aber von Yonkie habe ich vorhin Käse und Apfelmus bekommen. Und ein Glas Milch. Zählt das als Abendbrot?«
Decker war sich nicht ganz sicher. »Ich glaube, das ist o. k.«
»Also kann ich jetzt Kakao und Chips kriegen. Und eine Pflaume?«
»Ich denke, ja.«
»Toll! Willst du mit mir fernsehen?«
»Vielleicht später.«
»Okay. Ich warte auf mein Essen.«
»Ahm... solltest du nicht eigentlich was anderes machen?« Die Siebenjährige sah ihn an. »Und was?«
»Na ja, lesen oder draußen spielen... irgendwas anderes als fernsehen?«
Sie seufzte mitleidig. »Ich bin heute schon mit Eema Schlittschuhlaufen gewesen und dann in der Bücherei und hab mir zwei neue Bücher ausgeliehen, die ich vor dem Schlafengehen lesen soll; und dann hab ich sechs Bilder mit meinen neuen Farbstiften gemalt, die nach Früchten riechen, und dann hab ich mit Yonkie eine Stunde Street Fighter II gespielt, und jetzt bin ich müde. Aber wenn du willst, dass ich den Fernseher ausmache und mich langweile, mach ich's.«
So gesehen schien fernsehen das Vernünftigste zu sein. »Nein, schon gut«, erwiderte Decker. »Du hattest anscheinend einen anstrengenden Tag.«
»Einen sehr anstrengenden Tag, Daddy. Ich bin müde und hungrig. Ein bisschen Käse reicht nicht, wenn man noch wächst.«
Decker lächelte. »Ich bring dir gleich was.« Er ging in die Küche, wo Jacob in ein Übungsbuch für seinen bevorstehenden Test vertieft war. Er hatte in seinem vorletzten Jahr an der Highschool zum ersten Mal nur gute Noten im Zeugnis gehabt. Er sah auf. »Hi.«
»Hi«, antwortete Decker. »Du siehst fertig aus.«
»Ja, ein bisschen«, gab Decker zu. »Wo ist Eema?«
»Das Flugzeug hatte Verspätung... und dann noch mehr... und noch mehr...«
»Der arme Sammy. Und warum bist du nicht mit zum Flughafen?«
»Eema meinte, dass das Warten dort zu lang dauern würde.« Er zuckte die Achseln. Ich hab mich als Babysitter zur Verfügung gestellt, weil ich die Familie und die Bequemlichkeiten des Hauses noch ein bisschen genießen wollte, bevor ich bei Wasser und Brot in eine zwei Quadratmeter große Zelle mit einer harten Pritsche gesperrt werde.«
»Ich glaube nicht, dass die Unterbringung an der Jeschiwa so schlimm ist.«
»Glaubst du.« Er klappte das Buch zu und lehnte sich zurück. Er wirkte verstört. »Ich hab ein paar Nachrichtensendungen gesehen.«
»Und?«
»Sie haben gesagt, dass Dr. Baldwin - also seine Frau... du weißt schon. Dass sie sich umgebracht hat. Was hat sie denn getan? Hat sie Ernesto und ihren Mann aus Eifersucht gekillt und sich dann selbst getötet?«
Decker zuckte die Achseln.
»Das sagen sie im Fernsehen.«
»Erstklassiger Schundjournalismus.« Decker setzte sich. »Bist du durcheinander?«
»Ja, das kann man wohl sagen. Es ist so schrecklich!«
»Hast du mit Freunden darüber gesprochen?«
»Mit welchen Freunden?«
»Hast du mit irgendjemandem darüber gesprochen?«
»Ich spreche mit dir.«
Decker schwieg.
Jacob richtete sich auf.
»Ein paar Leute haben mich angerufen.«
»Lisa Halloway?«
Jacob nickte. »Sie ist völlig verstört.« Er seufzte. »Es ist echt furchtbar. Ich habe auch ziemlich daran zu knabbern, und die Leute rufen hier an und fragen mich aus. Als wäre ich die Hotline für deine Ermittlungen.«
»Kann ich was für dich tun?«
»Ich nehme nicht an, dass du mir die Telefonate abnehmen willst.«
»Dafür habe ich im Moment ein bisschen viel um die Ohren.«
»Wie wär's dann, wenn du diesen ganzen Müll für mich liest?« Er hielt das Übungsbuch für den S2 in Physik hoch. »Du kannst ja für mich den Test schreiben.«
»Klar, ich kann für dich durchfallen«, antwortete Decker.
Sein Stiefsohn grinste. »Ehrlich gesagt, weiß ich ganz gut Bescheid. Ich werd's schon schaffen.«
»Dann ist's ja gut.«
Eine lange Pause. Dann sagte Jacob: »Ich hatte übrigens nie das Gefühl, dass Ernesto schwul ist.«
»Und warum nicht?«
»Ich seh nicht schlecht aus«, erwiderte Jacob. »Mädchen und Schwule stehen auf meinen Typ. Aber er hat mich nie angemacht oder so.«
»Vielleicht bist du doch nicht sein Typ.«
Der Junge
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