Der Vampir, den ich liebte

überhaupt nicht romantisch. Im Gegenteil,
beim Gedanken daran wurde mir ganz komisch zumute, richtig mulmig. Je länger
ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir: Die Konstellation Ethan, Frank,
Faith, Lucius – und ich – konnte eigentlich nur in einer Katastrophe enden.

Kapitel 10
    Lieber Onkel Vasile,
    die
Linse ist vielleicht das vielseitigste, unzerstörbarste Nahrungsmittel auf der
Welt.
    Man kann
Linsen ohne jegliche Beilage essen; man kann sie mit ihrem Vetter ersten Grades
verbinden, dem einfältigen »Bulgur«; oder man kann versuchen, sie für einen
»veganen Salat« in scharfem Essig zu ertränken. Aber die Linse wird leider
immer überleben. Zumindest im Hause Packwood wird die zähe kleine Hülsenfrucht
mit Macht auferstehen, so geschmacklos wie zuvor, und ihrem unbezwingbaren,
diskusförmigen Ich den Weg auf einen weiteren Essensteller bahnen – in der
Erwartung, verspeist zu werden. Wieder und wieder und wieder.
    Zu
»Götterspeise« und »Mettbrötchen« möchte ich mich an dieser Stelle gar nicht
erst äußern.
    HERRGOTT NOCH MAL, VASILE.
    Wie viel
muss ich im Interesse des Friedens zwischen den Clans noch erdulden? Soll ich
mich als erster Gefangener in einem Krieg opfern, der noch nicht einmal
begonnen hat?
    Ehrlich,
Vasile, es ist nicht nur das Essen (oder das, was die Packwoods und das
Kultusministerium von Pennsylvania als Essen bezeichnen.)
    Amerikanische
Highschools sollten nach den Regeln der Genfer Konvention verboten werden. Sei
versichert: Die unaussprechlichen Grausamkeiten, die ich ertrage, würden selbst
dich, einen wahren Experten in Sachen Grausamkeit, staunen lassen!
    Wie du
weißt, war ich schon immer neugierig, was die Unsterblichkeit unserer Rasse
betrifft ... wie es sich anfühlen wird, im Laufe der Zeit immer weiterzuleben
(vorausgesetzt, dass man den Pfahl meidet, was ich vorhabe). Nun muss ich
nicht länger spekulieren. Ich habe in Ms Campbells »Sozialkunde«-Kurs in der
fünften Stunde einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit bekommen. Drei Tage über das
Konzept des »Manifest Destiny«, Vasile, über die angeblich schicksalhafte
Bestimmung der weißen Siedler, nach Westen vorzudringen und ganz Nordamerika in
Besitz zu nehmen, an die man im 19. Jahrhundert glaubte. DREI TAGE. Nur mit
Mühe konnte ich mich selbst davon abhalten aufzustehen, Ms Campbell ihre
Unterlagen aus den bleichen Händen zu reißen und sie anzuschreien: »Ja, Amerika
hat sich nach Westen ausgedehnt! Ist das nicht logisch, angesichts der
Tatsache, dass die Europäer sich am östlichen Ufer angesiedelt haben? Was hätten sie sonst tun sollen? Ins Meer
vorrücken?«
    Aber ich
darf nicht in Rage geraten. Ich weiß, es wäre schlechter Stil, hier die Fassung
zu verlieren. Ich muss all das erdulden und dabei gegen die Versuchung
ankämpfen, einfach in einen Zustand der Dumpfheit zu verfallen wie die meisten
meiner Klassenkameraden, die sich für die Dauer einer jeden Unterrichtsstunde
in eine kollektive, leere Trance fallen lassen. Obwohl ich sie manchmal insgeheim
um ihre Fähigkeit beneide, ihren Geist für geschlagene fünfzig Minuten
vollkommen zu leeren und ihn beim Klang einer Glocke wiederzubeleben. Als wären
sie pawlowsche Hunde. Um dann in den Fluren zu bellen und zu jaulen, bis der
Unterricht wieder beginnt ...)
    Was dich
jedoch zweifellos mehr interessiert als meine sogenannte Ausbildung hier sind
andere Neuigkeiten. Und so werde ich mich nun meinen Fortschritten bei
Antanasia zuwenden.
    Es freut
mich, berichten zu können, dass meine zukünftige Prinzessin manchmal Ansätze
einer doch recht beachtlichen Intelligenz zeigt. Bedauerlicherweise richtet
sich Antanasias beeindruckende Willenskraft jedoch ausschließlich darauf mich
zurückzuweisen.
    Was
dieses Bestreben betrifft, legt sie allerdings eine beachtliche
Entschlossenheit an den Tag.
    In der
Zwischenzeit gewinne ich das Gefühl, dass Antanasia eine ziemlich unkluge
Zuneigung zu einem Heuballen schleppenden Farmersohn hegt (einem Bauern und
einem ziemlich klein gewachsenen obendrein), der in Erscheinung und Benehmen so
wenig bemerkenswert ist, dass es mir einfach nicht gelingt, mir seinen Namen
zu merken – obwohl er in englischer Literatur direkt neben mir sitzt. (Ich habe
in diesem Kurs zum größten Teil den Unterricht übernommen – vielleicht bietet
man mir demnächst eine Stelle an?) Justin? Jason? (Traurigerweise sind beides
wohlbegründete Vermutungen. Die Eltern der Schüler hier in der Woodrow Wilson
High School scheinen