Der Vampir, den ich liebte
unerwünschte Geschenk an.
Dann schlug
ich gegen besseres Wissen die Seiten auf, zwischen denen das Lesezeichen
steckte, und las die Kapitelüberschrift: »Die Veränderung deines Körpers.« Oje
... Eine Passage war unterstrichen, mit roter Tinte. Sie lautete: »Junge
Damen werden sich natürlicherweise verwirrt fühlen, während ihr Körper sich
verändert. Schäm dich nicht! Die Entwicklung deiner Kurven ist ein natürlicher
Teil der Entwicklung zu einem weiblichen Vampir.«
Ich
widerstand dem Drang zu schreien. Ich brauche Lucius Vladescus Rat, wie man
»weiblich« wird, nicht und erst recht will ich nicht wissen, wie man ein
»weiblicher Vampir« wird. Wer hat dieses Zeug überhaupt veröffentlicht? Wer
gibt eine Aufklärungsschrift für Fabelwesen heraus?
Wie leicht so etwas die Wahnvorstellungen leichtgläubiger Menschen fördern
kann ...
Bevor ich
das Ding in meinen Papierkorb schmiss, wo es hingehörte, warf ich einen
schnellen Blick auf die Innenseite des Covers, auf der Suche nach dem Verlag.
Eine handschriftliche Notiz ließ mich stutzen.
Liebste
Jessica,
natürlich
habe ich nie Ratschläge zu irgendeinem dieser Themen benötigt – lächerlich,
»Gefühle«? –, aber ich dachte, dass du sozusagen als »Neuling« das Handbuch
vielleicht hilfreich finden würdest. Trotz des unangenehm anbiedernden
Tonfalls steht es bei unserer Rasse in einigem Ansehen.
Viel
Spaß damit – und komm bitte jederzeit zu mir, solltest du Fragen haben. Ich
betrachte mich durchaus als Experten. Bis auf das Thema »Gefühle«.
Dein L.
PS:
Wusstest du, dass du schnarchst? Angenehme Träume!
Er gab
einfach nicht auf.
Ich schlug das Buch zu und bemerkte, dass weiter hinten noch etwas anderes
steckte. Ein Briefumschlag. Ich zog ihn zwischen den Seiten hervor. Das Papier
war wächsern und beinahe durchsichtig. Ich holte tief Luft, als mir klar wurde,
dass es ein Foto enthielt. Selbst durch das Papier hindurch konnte ich das Bild
einer Frau erkennen.
Nein.
Auch ohne
es mir genauer anzuschauen, wusste ich, wessen Bild ich in der Hand hielt. Das
meiner leiblichen Mutter ...
Ich schob
das Foto wieder zwischen die Seiten. Lucius würde mich nicht manipulieren. Er
würde mir meine Vergangenheit nicht mit Gewalt aufdrängen. Er konnte mich
nicht dazu zwingen, mir die lange verstorbene, geistig verwirrte Frau
anzusehen, die mich weggegeben hatte.
Während ich
gegen meine Wut ankämpfte – auf Lucius, auf die traurigen, peinlichen
Geheimnisse meiner Vergangenheit –, warf ich das Buch unter mein Bett. Ich
wollte nicht, dass Mom es zufällig fand, wenn sie meinen Papierkorb ausleerte.
Ich konnte es später immer noch zerreißen und tief im Komposthaufen vergraben.
In dem
Moment, als das schmale Büchlein über das Holz schlitterte und zwischen den
Wollmäusen landete, kam mir ein Gedanke: Hatte Lucius draußen vor meiner Tür gestanden,
während ich von ihm geträumt hatte? Scham überflutete mich. Warum hatte ich
diese Fantasie überhaupt gehabt? Und was hatte er mit »angenehme Träume«
gemeint? Warum hatte er das geschrieben?
Ich hoffte
inbrünstig, dass ich neben dem Schnarchen – was ich definitiv nicht tat – nicht auch noch im Schlaf redete. Mit mehr als nur geringem Unbehagen dachte
ich an die bevorstehende Verabredung mit Lucius heute Abend, auf die ich mich
leichtsinnigerweise eingelassen hatte.
Kapitel 12
Willkommen«, sagte Lucius und zog die Tür zu
seinem Appartement auf. Er trat zurück, um mich hereinzulassen. »Du bist mein
erster Gast.«
»Ach du
Scheiße.«
Lucius
schloss die Tür hinter uns. »Also, das ist mal eine nette Reaktion. Sehr
damenhaft.«
Ich keuchte
auf. »Was hast du hier gemacht?« Während meine Augen sich an das schwache Licht
gewöhnten, nahm ich allmählich immer mehr Einzelheiten in dem Raum wahr. »Wow.«
Das früher mit Flohmarktkram im »Landhausstil« – na ja, mehr oder weniger – eingerichtete Appartement kam dem Inneren einer rumänischen Burg, wie ich sie
mir vorstellte, recht nahe. Auf dem Bett lag eine blutrote Samtdecke; ein
geschmackvoller, abgetretener Perserläufer bedeckte den beigefarbenen Teppich,
die Wände waren in einem tiefen Blaugrau gestrichen. Der Farbe von altem Stein.
Meine Bestandsaufnahme kam zu einem jähen Ende, als mein Blick auf die
Sammlung alter Waffen an der Wand fiel. Scharfe Dinge. Stachelige Dinge. Ȁhm
... was ist denn aus Moms Sammlung fair gehandelter Folklore-Puppen von
Eingeborenen aus aller Welt geworden?«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher