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Der Vampir

Der Vampir

Titel: Der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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etwa sechs Meter
weiter unten endete der neue Korridor in sechs Stufen, die zu einem breiten
Treppenabsatz führten, und dort blieben mir mehrere Möglichkeiten. Ich konnte
von dort aus entweder einen schmalen, matt beleuchteten Gang entlanggehen oder
eine Treppe nach oben steigen oder eine abwärts führende Treppe benutzen. Das
Ärgerliche war, daß ich mich nicht daran erinnerte, ob Imogen dieses Detail überhaupt erwähnt hatte. Ich stand auf dem Absatz und versuchte,
zu einem Entschluß zu gelangen, als irgendwo in der Nähe ein leises »Pst !« mich fast an die Decke fahren ließ.
    Ein kleiner alter Mann war aus
dem Nichts aufgetaucht und stand auf der nach oben führenden Treppe. Er sah aus
wie ein alternder Cherub mit beginnender Glatze, gestreiftem Pyjama unter einem
Samtmorgenrock und das Neueste an Hausschuhen mit Quasten. Ich blinzelte heftig
und wartete darauf, daß er verschwinden würde.
    »Pst !« Er winkte mit einem dicken Zeigefinger. »Hier, her, Bastard!«
    »Selbst Bastard !« erwiderte ich mit typischer Bakerscher Brillanz.
    Er ließ mir ein widerwärtig
zahnloses Lächeln zukommen und winkte weiter. In diesem Augenblick erinnerte
ich mich mit einem inneren Seufzer der Erleichterung daran, daß die Wykes -Jones einen verrückten Onkel in petto hatten und daß
es sich hier offensichtlich um ihn handelte.
    »Onkel Silas ?« erkundigte ich mich.
    Er nickte und sagte erneut »Pst !« , während mir sein Finger weiter wie wahnsinnig winkte.
    »Wissen Sie den Weg zum
Ostflügel ?« fragte ich hoffnungsvoll.
    »Du wirst ganz sicher bei mir
sein, Bastard«, flüsterte er. »Komm !«
    »Okay«, sagte ich zweifelnd.
»Für meinen Nachtschlaf tue ich alles, aber hören Sie auf, mich als Bastard zu
bezeichnen. Ja? Für einen Burschen wie mich, der seinen Vater erst mit seinem
zwanzigsten Lebensjahr kennengelernt hat, ist das eine Art Beleidigung .«
    Aber er war bereits die Treppe
emporgestiegen, und so folgte ich ihm schnell, denn selbst ein verrückter Onkel
war noch besser als überhaupt niemand. Als wir oben angelangt waren, nahm ich
an, daß wir uns im zweiten Stock befanden, aber wie, zum Kuckuck, es dort
aussah, konnte ich nicht erkennen, denn es herrschte komplette Dunkelheit.
    »He !« sagte ich nervös. »Wie wäre es, wenn wir ein bißchen Licht machten ?«
    »Pst!«
    »Oh! — Schieben Sie doch Ihre
verdammten Zähne in den Mund !« zischte ich zurück.
    Ein Streichholz flammte auf,
und dann sah ich, daß er irgendwo eine Kerze ergattert hatte, die er nun mit
zitternden Fingern anzündete.
    »Hören Sie zu«, knurrte ich.
»Dieser Hugh Wykes -Jones hat gesagt, daß der
Ostflügel über jeden modernen Komfort, über Badezimmer und alles übrige verfüge, also behaupten Sie nicht, hier gäbe es keine
Elektrizität, weil...«
    »Komm !« flüsterte er, und der verdammte dicke Zeigefinger winkte erneut.
    Es blieb mir nichts anderes
übrig, als ihm einen langen Korridor entlang zu folgen, wobei meine Füße Staub
aufwirbelten und ich am äußeren Radius des Kerzenlichts Spinnweben hängen sehen
konnte. Für einen Mann seines Alters bewegte sich Onkel Silas wirklich recht schnell; und ich mußte mich beeilen, um mit ihm Schritt zu
halten. Der Korridor bog zweimal im rechten Winkel ab, und danach dachte ich,
der Teufel solle das Ganze holen, und packte den Alten an der Schulter.
    »Moment mal«, brummte ich.
»Wohin gehen wir eigentlich ?«
    Er drehte den Kopf zurück und
blickte mich an. Seine Augen waren vom blässesten Blau, das ich je gesehen
hatte, und der leere Ausdruck in ihnen hatte nichts Ermunterndes. Er legte
einen Augenblick lang die Finger auf die Lippen und grinste mich erneut auf
seine zahnlose Weise an.
    »Keine Sorge, Bastard«,
flüsterte er. »Ich bringe dich in Sicherheit .« Seine
schweren Lider flatterten auf und ab, und dann blickte er plötzlich wieder vor
sich in die Dunkelheit. » Er ist heute nacht unterwegs«, sagte er einfach.
    »Er ?« brachte ich erstickt hervor.
    »Er jagt hinter dir her«, sagte
er in beruhigendem Ton. »Aber er wird dich nicht finden !« Er kicherte, als ob er sich über einen ausgezeichneten Spaß, den nur er
begriff, amüsierte. » Heute nacht wird er hungrig sein .«
    »Er?« Ich schluckte mühsam.
»Wer — oder was — wovon, zum Teufel, reden Sie überhaupt ?«
    »Komm !« Er löste sanft meine Hand von seiner Schulter. »Wir müssen uns beeilen .« Und er eilte weiter den Korridor entlang, als ob ihm alle
Dämonen der Hölle auf den Fersen

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