Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vampyr

Titel: Der Vampyr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
dachte. Als die Sonne aufging, hörte er Schritte draußen auf dem Flur. Die Tür wurde aufgerissen und zwei Bewaffnete traten herein. Sie sagten nichts, aber Andrej wußte, das sie gekommen waren, um ihn abzuholen; er hatte Tepeschs Worte vom vergangenen Tag nicht vergessen. Einen Vertrauensbeweis … Noch etwas hatte sich geändert. Während Andrej aufstand und den Soldaten auf den Flur folgte, beobachtete er sich selbst dabei, die beiden Männer kühl nach ihrer Gefährlichkeit einzuschätzen. Ein Teil von ihm schätzte ihre Bewaffnung, ihre Aufmerksamkeit und die Art ihrer Bewegungen ein und überlegte im nächsten Schritt, wie er sie am schnellsten und mit dem geringsten Risiko ausschalten konnte.
    Er erschrak vor sich selbst, aber der Gedanke blieb. Als die Männer hereingekommen waren, hatte er eine deutliche Anspannung verspürt, die nun verflogen war, weil er begriffen hatte, das sie für ihn keine Gefahr darstellten. Etwas war mit ihm geschehen. Er wußte nicht, was, aber es machte ihm Angst. Draußen auf dem Gang warteten vier weitere Männer auf ihn, die sich zu einer schweigenden, aber sehr nervösen Eskorte formierten. Andrej drehte sich nicht einmal zu ihnen herum, aber er spürte die Armbrustbolzen, die auf seinen Rücken gerichtet waren. Anders als gestern schien Burg Waichs nun voller Leben zu sein. Aus der kalten, dunklen Gruft, in der jeder Schritt unheimlich widerhallte, war ein lauter, lärmender Ort geworden, der von Menschen nur so wimmelte und schon fast beengt schien. Zahlreiche Männer - größtenteils, aber nicht ausschließlich Soldaten - kamen ihnen entgegen. Auch der Hof war voller Menschen. In der Nähe des Tors war ein mehr als mannshoher Stapel mit Kriegsgerät und Beutegut aufgebaut, und auf den Zinnen flatterten neben Tepeschs schwarz-roter Drachenfahne die erbeuteten Wimpel von Selics zerschlagenem Heer im Wind. Seine Begleiter stießen ihn grob auf den Hof hinaus und signalisierten ihm, stehen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren.
    Niemand sprach ihn an; die Männer wichen sogar seinem Blick aus.
    Wahrscheinlich dachten sie, das er über den Bösen Blick verfüge, überlegte Andrej. Niemand hier hielt ihn für einen normalen Kriegsgefangenen. Offensichtlich hatte sich herumgesprochen, das Burg Waichs im Moment ganz besondere Gäste beherbergte. Während er wartete, sah sich Andrej aufmerksam um. Er entdeckte weder einen Scheiterhaufen noch einen der gefürchteten Pfähle, nur in einiger Entfernung stand ein einsamer Käfig, der offenbar zur Aufnahme eines Gefangenen bestimmt, im Augenblick aber leer war: Ein Würfel von einem guten Meter Kantenlänge, der mit spitzen, nach innen gerichteten Dornen gespickt war. Daneben standen vier Pferde mit einer sonderbaren und Andrej vollkommen unbekann-ten Art von Geschirr. Eine große Anzahl Bewaffneter bevölkerte den Hof, hielt aber respektvollen Abstand zu Andrej und seinen Begleitern. Während der Zeit, die Andrej tatenlos warten mußte, verließen mehrere Abteilungen Reiter die Burg oder kehrten zu-rück. Einmal trieben sie eine Gruppe zerlumpter und vollkommen entkräfteter Gefangener - die meisten verletzt - vor sich her. Tepesch hatte die Jagd auf Überlebende des muselmanischen Heers noch nicht einstellen lassen. Während die Männer die Gefangenen mit Stockschlägen und Fußtritten auf eine niedrige Tür zutrieben, die vermutlich zu den Verliesen hinabführte, versuchte Andrej möglichst unauffällig, ihre Gesichter zu erkennen.
    »Mach dir keine Sorgen, Deläny«, sagte Tepesch hinter ihm.
    »Dein muselmanischer Freund ist nicht dabei.« Andrej ließ ganz bewusst einige Zeit verstreichen, ehe er sich zu ihm umdrehte. Tepesch hatte sich ihm wieder einmal genähert, ohne das er seine Schritte gehört hatte; etwas, das er offensichtlich gut beherrschte.
    Er fuhr fort:
    »Ich habe meinen Männern befohlen, den Mohr und seine Begleiter unbehelligt zu lassen. Nimm es als Zeichen meines guten Willens -
    und als Anzahlung auf unseren Handel.«
    »Ich wüsste nicht, das wir einen hätten«, sagte Andrej ..Tepesch lä-
    chelte flüchtig. Er hatte sich verändert, war nun ganz in Schwarz gekleidet und trug einen einfachen Waffengurt mit einem schlichten, fast zierlichen Schwert um die Hüften. Seltsamerweise sah er dadurch fast gefährlicher aus, als hätte er sich in eine barbarische Rüstung gehüllt.
    »Wir werden sehen«, sagte er. Mehr nicht, aber die Worte erfüllten Andrej mit einer unguten Vorahnung. Tepesch drehte

Weitere Kostenlose Bücher