Der Vater des Attentäters (German Edition)
an den Spuren der Leute sehen kann, wo sie waren.»
«Ich mag das Gefühl, ins Wasser zu springen», erklärte ich ihm. «Wenn es beim Eintauchen ganz kurz so ist, als wäre ich noch draußen und gleichzeitig schon drin.»
«Kinositze», sagte er. «Den ganzen roten Samt.»
Wir aßen an dem Abend alles, was wir hatten, zwei Männer am Feuer, die ihre Teller sauberleckten.
Später lag ich im Zelt und lauschte seinem Atem. Es war ein Geräusch, das ich seit Jahren nicht mehr wahrgenommen hatte. Das rhythmische Seufzen meines ältesten Sohnes, wenn er schlief. Er war einmal ein Baby gewesen, klein und hilfsbedürftig, aber die Zeit war vorbei. Wo war sie hin? Wie konnte sich das Leben so schnell voranbewegen? Jetzt war er ein fünfzehnjähriger Junge mit dem Bartflaum eines Teenagers. Ein Buch mit einem eingerissenen Umschlag. Früher einmal hatte ich ihn gekannt, seinen winzigen Körper, die Kraft seines Lächelns, den Geruch seines Atems, aber er war mir entglitten.
Am nächsten Tag wanderten wir vier Kilometer zu einem See und machten nur kurz Rast, um zu trinken. Es war leicht wolkig, und der Vorhersage nach sollte es noch Regen geben. Wir erreichten den See etwa gegen elf, das letzte Stück führte durch einen dichten Fichtenwald, und der Boden unter unseren Füßen war weich von den Nadeln der Vorjahre. Nach unserer ersten Nacht wirkte Daniel freundlicher. Er erzählte mir Geschichten von seinen Klassenkameraden, wer ein Idiot war und welche Mädchen er mochte.
Ich fragte ihn, ob er schon mal etwas Stärkeres getrunken oder mit Drogen experimentiert habe.
Er sagte, er sei schon ein paarmal high gewesen und dass er in Los Angeles Freunde habe, die rauchten, aber er möge das Gefühl nicht.
«Diese verschwommene Wahrnehmung, wenn man den Bezug zur Realität verliert, das mag ich nicht», sagte er. «Ich habe gelesen, wie vielen Umweltbelastungen unser Körper sowieso schon ausgesetzt ist, ohne dass wir es uns bewusst machen. Ich denke, es ist wichtig, sich nicht zu verschmutzen, rein zu bleiben, weißt du?»
Ich sagte, das höre sich gut an. Normalerweise würden die Leute Drogen und Alkohol als eine Art Flucht benutzen. Ich sagte, ich wünschte, ich hätte das mit fünfzehn auch schon so durchschaut.
Auf dem Rückweg ließ ich Danny vorangehen. Ich genoss die Luft, das Rascheln der Blätter im Wind, sah in die Bäume hinauf. Als ich den Blick wieder senkte, stand Danny reglos ein Stück vor mir auf dem Weg. Ich wollte rufen, was denn sei, aber etwas an seiner Körperhaltung ließ mir die Worte in der Kehle steckenbleiben.
Als ich zu ihm kam, sah ich, dass er den Kadaver eines Rehs anstarrte. Es war eine junge, kleine Ricke, vielleicht ein Jahr alt. Aasfresser hatten sich an ihrem Fleisch gütlich getan, und einige Teile waren völlig skelettiert. Nur der Kopf war so gut wie unberührt.
Danny sagte nichts. Ich sah ihn an, weil mich seine Reaktion interessierte.
«Ich glaube, er ist wirklich tot», sagte er.
«Wer?», fragte ich.
«Mister Santiago. Mein Lehrer. Er ist tot und hat nicht einfach nur gekündigt.»
Ich streckte die Hand aus, legte sie ihm auf den Kopf und zog ihn an mich. Nach einer Weile legte er die Arme um mich, und so standen wir da und lauschten dem Wind in den Bäumen.
Als wir am nächsten Tag nach Hause kamen, fragte mich Fran, wie es gewesen sei. Ich sagte, es sei ein toller Ausflug gewesen und ich hätte das Gefühl, da sei ein Knoten geplatzt und dass Danny und ich wieder zueinandergefunden hätten. Ich war in Hochstimmung – der Wald, die frische Luft und das Erlebnis, mit meinem Sohn so in der Natur gewesen zu sein, wie ich es oft mit meinem eigenen Vater gewesen war, das fühlte sich so gut und richtig an. Tags darauf musste ich jedoch wieder zur Arbeit und verschwand in meinem übervollen Zeitplan. Drei Monate später packte Danny dann seine Sachen und zog zurück nach Kalifornien, ins Haus seiner Mutter.
Der Campingausflug sollte das letzte Mal sein, dass Danny und ich mehr als ein paar Stunden zusammen verbrachten. Der tiefere Einblick in seine Persönlichkeit, den ich glaubte gewonnen zu haben, verwischte während der nachfolgenden Jahre, bis Danny, als er das College verließ, fast schon ein Fremder für mich war.
Aber in jenem Moment in der Küche mit Fran, während ich das Vibrieren des Lenkrads noch in den Armen spürte, fühlte ich mich wie siegestrunken, als hätte ich acht Jahre nachlässiger Vaterschaft an einem einzigen Wochenende ausgelöscht.
Ist es nicht
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