Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
Vom Netzwerk:
zuletzt mit ihr gesprochen hatte. Sie war ein paar Tage nicht bei der Arbeit gewesen, krank, hatte die Aushilfe gesagt. Carter hatte die Bibliothek an dem Tag früh verlassen und war mit dem Rad am Mopac, dem Highway, entlang bis in den Norden von Austin und zurück gefahren. Später hatte er im Bett gelegen und russische Romane gelesen, bis in die frühen Morgenstunden.
    Abends um neun fuhr er immer nach Barton Springs und ging schwimmen. Es herrschte spätsommerliches Wetter, der Schweiß sammelte sich unten auf seinem Rücken und rann ihm die Seiten hinunter. Er fuhr sein Rad ohne Helm, ohne Licht und ohne Reflektoren, er mochte das Gefühl, unsichtbar zu sein. Heißer Wind umwehte ihn, als führe er durch einen Umluftofen, und briet ihn gleichmäßig von allen Seiten. Beim Parkplatz angelangt, schob er sein Fahrrad in die Büsche und sprang ins kalte Wasser, ohne sich die Kleider auszuziehen. Es gefiel ihm, auf dem Rücken dahinzutreiben und die Sterne über sich funkeln zu sehen. Durch das Kräuseln der Wellen nahm er die anderen Schwimmer um sich herum wahr. Er schwamm etliche Längen durch das breitere Seeende, spürte, wie ihm die Pflanzen über Hände und Füße strichen, und die Vorstellung, dass da irgendwo unter ihm Fische im Dunkel lauerten, gefiel ihm. Später legte er sich ins Gras und lauschte dem Wind in den Bäumen. Er betrachtete die Mädchen in ihren Bikinis. Die Fülle ihrer Brüste machte ihn verlegen, und er fragte sich, wie sie sich so zur Schau stellen konnten. Wie kam eine Frau dazu, sich so anzubieten?
    Ob Natalie auch hierher kam? Ob sie dann so einen Bikini wie diese Mädchen trug? Klebte der nasse Stoff ebenso an ihr, umschloss er jede Rundung und unterstrich ihre sexuellen Reize wie bei einem dieser Girls in einem Männermagazin? Der Gedanke war zu viel für ihn. Er tauchte tief ins Wasser und ließ den stummen Druck seine Nerven beruhigen. Etwas an diesem Altweibersommer machte ihn rastlos.
    Er fuhr zu einer Tex-Mex-Kneipe und rauchte hinten mit den Aushilfskellnern eine Zigarette. Er vermisste die Kameradschaft der Mexikaner, ihre scherzhaften Beleidigungen, die irgendwie anders waren als das gockelhafte Machogetue der Studenten in seinem Haus. Ihm gefiel, wie die Latinos hier das Bier aus der Flasche tranken und wie Haie durch ihre Zähne lächelten. Sie kamen alle aus dem Süden Mexikos und machten sich über die Nordmexikaner lustig, die kleinere chiles hätten, so klein, dass ihre Frauen sie sich in die Ohren stecken konnten.
    In der Umluftofen-Hitze trockneten seine Kleider schnell. Es fühlte sich lustig an, Getränke mit nassem Geld zu kaufen, er reichte die feuchten Scheine über die Theke und nahm das kalte, harte Wechselgeld in Empfang. Später saßen sie auf dem Bordstein vor Schlotzky’s und tranken Bier aus Papiertüten. Einer der Mexikaner behauptete, er kenne eine Frau, die es mit drei Kerlen auf einmal treibe. Der Tellerwäscher reichte Fotos von seiner jungen Frau in der Heimat herum. Sie hatten drei gemeinsame Kinder. Er wollte sie nach Texas holen, sobald er genug Geld gespart hatte, um den Schlepper zu bezahlen.
    Wenn er so auf dem Rücken im Wasser von Barton Springs trieb, brauchte er einfach nur zu atmen. Er fühlte dann, wie das Wasser sein Gesicht und die Umrisse seines Körpers umschloss. Seine nassen Kleider klebten an ihm, die Taschen waren voller Wasser, seine Flipflops drohten davonzutreiben oder in der finsteren Schwärze unter ihm zu versinken. Er spürte seine bevorstehende Abreise wie einen heraufziehenden Schnupfen. Er gab sich noch zwei Wochen, höchstens drei. Natalie hielt ihn noch, die Möglichkeit, dass sie sich in ihn verliebte, dass sie beide zusammenkamen und sie erkannte, wer er war. Den Grund erkannte, aus dem es ihn gab. Seinen Daseinsgrund. Vielleicht würde er es durch sie erfahren: wer er wirklich war. War es das, worauf er wartete? Dass ihm jemand erklärte, wer er war?
    Als er sie am nächsten Tag sah, wusste er, was er sagen wollte. Er hatte den ganzen Morgen damit zugebracht, sich die richtigen Worte zurechtzulegen, und geübt, sie spontan klingen zu lassen. Er lauerte ihr bei den russischen Klassikern auf, wartete, dass sie vorbeikam, das Mädchen in der weißen Hose, das er, wie er dachte, lieben könnte.
    «Hey», sagte er, als sie ihn sah und anlächelte.
    Ihr Lächeln ließ ihn im Innern ganz weich und warm werden, wie ein Keks frisch aus dem Ofen. Er sagte: «Morgen gibt es eine Wahlveranstaltung. Jay Seagram kommt in die

Weitere Kostenlose Bücher