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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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weibliche Ärzte, die ich seit Jahren kannte, hörten auf, mit mir zu reden. Sie nahmen die Treppe, um nicht mit dem Vater des Angeklagten im Aufzug fahren zu müssen. An meinem ersten Arbeitstag nach dem Attentat stattete mir der Chefarzt einen Besuch in meinem Büro ab. Er hatte eine ernste Miene aufgesetzt.
    «Hören Sie», sagte er, «Sie und ich, wir wissen beide, was immer Ihr Sohn getan hat, ob er unschuldig, schuldig oder was immer ist, ändert nichts an Ihrer Stellung hier im Krankenhaus. Dennoch würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie sich während der nächsten paar Monate etwas bedeckt hielten.»
    Zu Anfang des Jahres war ich dazu verdonnert worden, auf der alljährlichen Benefizveranstaltung des Krankenhauses eine Rede zu halten. Nach Seagrams Tod wurde mein Name stillschweigend aus dem Programm getilgt und mir selbst nahegelegt, doch lieber zu Hause zu bleiben. Einerseits machte es mich wütend: Mehr als zehn Jahre meines Lebens hatte ich diesem Krankenhaus gewidmet, hatte einigen weltberühmten Persönlichkeiten das Leben gerettet, und plötzlich war ich ein Ausgestoßener. Andererseits war ich durchaus dankbar. Dankbar dafür, dass ich zu Hause bleiben konnte, dafür, die wissenden Blicke, das peinliche Schweigen und den forcierten Smalltalk nicht ertragen zu müssen.
    Eines Morgens im Zug griff eine Frau, die mir völlig fremd war, nach meinem Arm. Als ich sie ansah, zischte sie: «Schämen Sie sich, schämen Sie sich!»
    Eine Schwester im Krankenhaus brach in Tränen aus, als ich sie im Pausenzimmer ansprach. Ich versuchte sie zu beruhigen, doch sie wich vor mir zurück. «Fassen Sie mich nicht an!», sagte sie.
    Eines Abends traf ich zufällig im Restaurant einen Chirurgen, mit dem ich verschiedentlich Squash gespielt hatte. Im Krankenhaus hatte er sich bisher anständig verhalten, aber jetzt hatte er getrunken. Er kam an den Tisch, an den wir uns gerade mit unseren wenigen Freunden gesetzt hatten, die noch bereit waren, sich mit Fran und mir in der Öffentlichkeit zu zeigen.
    «Sie sollten wissen», sagte er, «dass niemand im Krankenhaus Sie ansehen kann, ohne daran zu denken, was Ihr Sohn getan hat. Ich hoffe, Sie können gut schlafen.» Und um das Maß voll zu machen, hängte er noch ein «Wichser» hinten dran und stolperte in Richtung Toilette.
    Meine Freunde versuchten mich zu trösten. Der Kerl sei so betrunken wie dumm, und ich solle ihm keine Beachtung schenken. Ich behauptete, es sei schon okay, jeder habe ein Recht auf seine Meinung. Aber nach diesem Abend gingen wir nicht mehr zum Essen aus.
    Reporter mit unterdrückten Telefonnummern riefen an und versuchten uns irgendwelche Aussagen zu entlocken. Sie stellten provozierende Fragen, um uns aus der Reserve zu holen.
    «Was für ein Gefühl ist es, zu wissen, dass so viele Menschen Ihren Sohn hassen?»
    «Wenn sie ihn hinrichten, werden Sie dann dabei sein?»
    Ich ging nicht mehr ans Telefon. Das Klingeln wurde zu einem gefürchteten Geräusch, das meinen Puls in die Höhe trieb.
    In den letzten drei Monaten hatte ich nur zweimal mit Danny gesprochen, beide Male am Telefon. Während des Gesprächs erinnerte uns eine Computerstimme ständig daran, dass das Telefonat aus Sicherheitsgründen aufgezeichnet werde.
    «Ich darf dir nicht sagen, wo ich bin», sagte Danny, «nur, dass es hier heiß ist.»
    «Es ist August», sagte ich. «Da ist es überall heiß.»
    «Ich glaube, ich will nach Hause», sagte er.
    «Das glaubst du? Du sitzt im Gefängnis. Da wäre alles andere nicht normal. Wie geht es dir?»
    «Das Licht wird nicht ausgeschaltet, es bleibt immer an. Ich muss mit den Händen über dem Gesicht schlafen.»
    «Das ist gegen das Gesetz», sagte ich. «Das dürfen sie nicht.»
    Danny sagte ein Minute lang nichts, dann: «Mein Anwalt meint, ich soll darüber nachdenken, ob ich auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren will.»
    «Und was denkst du?», fragte ich.
    «Ich denke, dass dieses Gespräch aus Sicherheitsgründen aufgezeichnet wird.»
    Hinterher saß ich in der Küche und sah zu, wie sich meine Teetasse in der Mikrowelle drehte. Ich weigerte mich nach wie vor, die Schuld meines Sohnes anzuerkennen, aber mitunter schlichen sich Zweifel ein. Das Foto von Danny mit der Pistole in der Hand sprach ganz klar gegen ihn. Allerdings wusste ich, dass, nur weil etwas wie Krebs aussah, es noch längst keiner sein musste. Mein Sohn war ein guter Mensch. Wenn jemand wie er zu einem solchen Verbrechen fähig war, wusste ich nichts über die

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