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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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meiner Unterlagen zu erstellen. Alle dreißig Minuten unterbrach ich meine Recherche und kopierte Dateien und Unterlagen.
    Fran sagte, sie mache sich Sorgen um mich. Diese Besessenheit sei nicht gesund. Ich bräuchte Schlaf. Ich erwiderte, immerhin gehe es um meinen Sohn. Was ich denn tun solle? Sie sagte, ich müsse versuchen, meinen Frieden mit den Geschehnissen zu schließen. Es sei an der Zeit, die Tatsache zu akzeptieren, dass Danny womöglich schuldig sei.
    «Und was ist mit diesem Mann, mit dem er gerungen hat?», fragte ich. «Zwei Augenzeugen sagen schließlich, sie haben Danny direkt nach den Schüssen mit einem Mann kämpfen sehen.»
    «Das war ein Mann vom Secret Service.»
    «Nein. Beide Zeugen haben ausdrücklich gesagt, es sei jemand anderes gewesen. Bevor die Agenten kamen.»
    «Wie willst du das wissen?», sagte sie. «Da herrschte ein fürchterliches Durcheinander. Die Leute waren in Panik.»
    «Ich weiß, was ich gelesen habe», antwortete ich.
    Sie seufzte und versuchte geduldig zu sein. Sie wusste, dass am Ende auch die Zukunft unserer Ehe davon abhing, wie wir diese Gespräche führten.
    «Du hast das Foto gesehen», sagte sie. «Der Secret Service hat Danny zu Boden gerungen. Auf der Mordwaffe sind seine Fingerabdrücke.»
    «Fotos können manipuliert werden», erklärte ich ihr, «und Fingerabdrücke sind keine so eindeutigen Beweise, wie man früher gedacht hat.»
    Sie legte die Hand auf meine Wange. In ihren Augen lag nichts als Mitgefühl. «Ich denke, du solltest mit jemandem reden», sagte sie. «Mit einem Therapeuten. Du musst akzeptieren, dass es nicht deine Schuld ist.»
    «Dass was nicht meine Schuld ist?», sagte ich. «Dass Danny zu einer Wahlveranstaltung gegangen ist? Dass er sich unter das Publikum gemischt hat?»
    «Paul», sagte sie. «Ich liebe Danny auch, aber du machst dich krank. Und deine Familie braucht dich. Ich brauche dich.»
    Aber ich konnte nicht loslassen.
    Mittlerweile war ich es gewohnt, Dannys Gesicht in der Zeitung zu sehen. Es erschreckte mich nicht mehr. Zwei Wochen nach dem Attentat war ich mit dem Zug nach Washington, D.C. , gefahren, um an der Kongressanhörung teilzunehmen. Die Sonne leuchtete wie ein Juwel am Himmel, als ich aus dem Bahnhof trat. Ich ging die zehn Blocks von der Union Station zu Fuß. Vor mir lagen die prächtigen weiten Straßen der Hauptstadt, schattige Rasenflächen und Denkmäler umgeben von flammenden Blumenmeeren, eine ganze Sammlung kleiner Parks und stattliche Scharlach-Eichen, und über allem wehte das Rot, Weiß und Blau der amerikanischen Flagge. Jedes Gebäude, an dem ich vorbeikam, schien eigens dazu konstruiert, dem Betrachter Ehrfurcht oder Angst einzuflößen.
    Ich hatte zwar schon einige Kongressabgeordnete und Senatoren in meiner Praxis behandelt, war aber noch nie im Capitol gewesen. Natürlich hatte ich verschiedene Anhörungen im Fernsehen verfolgt: als Kind die Watergate-Affäre, später die Iran-Contra-Affäre. Ich kannte die Aura jener Räume, das Gedränge der Kameras, das Gewicht der Geschichte, die Erwartungen der Menge.
    Hinter mir sagte ein Mann in ein Handy: «… zeugungsunfähig, aber sie denken, es ist behandelbar.»
    Ich überquerte die D Street und die C Street, stellte fest, wie sauber die Straßen hier aussahen, wie frisch die Farben der Gebäude waren im Vergleich zu anderen Städten. Ich kam am Russell Senate Office Building vorbei, seinem Mitglieder- und seinem Angestellten-Eingang. Vor mir, auf der Constitution Avenue, patrouillierten Beamte der Capitol Police mit weißen Hemden und schwarzen Kappen. Nach 9/11 waren die Zufahrten zu allen Bundesgebäuden mit Toren und Betonsperren abgeschirmt worden, um Terroristenangriffe abzuwehren. Die Fußwege waren mit mächtigen Blumenkübeln zugestellt, die wie übergroßes, steinernes Unkraut aus dem Pflaster wuchsen. Das ist die Folge der Angst, dachte ich. Sie macht alles hässlich.
    Auf dem Rasen hinter dem Capitol hatten Fernsehteams ihre Scheinwerfer und Kameras aufgestellt. Ein Schreck durchfuhr mich, denn ich wollte nicht erkannt werden. Murray hatte mir eine Genehmigung besorgt, der Anhörung von den oberen Rängen der Galerie aus zu folgen. Ich trug einen schlichten Mantel und einen gewöhnlichen Hut. Ich wollte nicht vorne sitzen und von den Kameras eingefangen werden, meinen Namen unter dem Gesicht eingeblendet: «Paul Allen, Vater von Daniel Allen, dem Angeklagten.» Ich zog mir den Hut tiefer in die Stirn.
    Kameraleute und Techniker standen

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