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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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vorgebeugt, und die Haut um seine Augen kräuselt sich beim Lachen auf die für ihn typische Weise. Die Einstellung dauert genau 3,1 Sekunden. Ich habe sie mir mindestens hundertmal angesehen. Mein Sohn wirkt darauf glücklich, schwerelos. Wie wäre alles gekommen, wenn er in Chicago geblieben wäre? Er hätte an die DePaul University wechseln können. Sie gilt als weniger gut, und wir hätten nicht begeistert reagiert, es am Ende aber verstanden. Womöglich wäre er mit den Foreman-Brüdern zusammengezogen und weiter mit Samatha gegangen. Vielleicht hätten sie geheiratet und Kinder bekommen. Seine Gedanken wären typische Chicagoer Gedanken geworden, seine Kleidung Chicagoer Kleidung (Mützen, Handschuhe und breitschultrige Mäntel).
    Stattdessen stieg er am Morgen des 28. März wieder in seinen Honda. Die Luft war wärmer geworden, der Frühling drang allmählich in die nördliche Kälte. Nachdem er neun Tage nicht bewegt worden war, wollte Dannys Wagen zunächst nicht anspringen. Craig half mit Überbrückungskabeln von der Batterie seines Tundra.
    Dann fuhr Daniel Allen mit seiner verbeulten Truhe im Heck über die Route 80 in westlicher Richtung nach Iowa City.

 
     
    Ein Luftzug weckte mich. Ich öffnete die Augen und sah auf die Uhr. Es war kurz nach drei Uhr morgens. Mein Herz schlug schnell, im Zimmer war es still. Ich hatte von Danny geträumt. Fran lag schlafend neben mir. Sie hatte die Decke von sich geworfen und sich ein Kissen zwischen die Knie geklemmt. Ihre weiche, warme Hüfte war entblößt. Wie oft schon war ich abends mit dem Kopf auf ihrem Schoß eingeschlafen. Ich hörte ihren leichten Atem, und die Dunkelheit schien mir ein lebendiges Wesen. Ich sah zur Alarmanlage an der Wand, die wir nach Dannys Verhaftung hatten installieren lassen. Nachdem es Drohanrufe gegeben hatte, anonyme Briefe, merkwürdige Autos, die zu jeder Uhrzeit vorüberfuhren. Aber das Licht leuchtete grün, im Augenblick waren wir in Sicherheit.
    Ich stand auf. Mir wurde kurz schwindelig, und ich stützte mich an der Wand ab. Es war September. Vor drei Monaten war Jay Seagram ermordet worden, vor drei Monaten hatte ich an Dannys Krankenhausbett gesessen und sein Gesicht berührt. Mein Sohn wurde an einem unbekannten Ort festgehalten. Ich hatte eine amtliche Anfrage gestellt, doch mir war mitgeteilt worden, sein Aufenthaltsort sei als «streng geheime» Information eingestuft. Das Justizministerium hatte in der letzten Woche Anklage gegen Danny erhoben. Ihm wurden vorsätzlicher Mord sowie zweiundzwanzig terroristische Handlungen vorgeworfen. Die erste öffentliche Verhandlung würde am Donnerstag vor dem Bundesgericht in Los Angeles stattfinden. Morgen würden wir fliegen. Fran wollte die Zwillinge mitnehmen. Murray hatte uns mitgeteilt, wir würden Danny vor der Verhandlung sprechen können, und Fran wollte, dass die Jungs ihn sahen.
    Wie er wohl aussehen würde? Bärtig und abgemagert? Wie John Walker Lindh nach dreißig Tagen in einem afghanischen Verließ?
    Vorsichtig schlich ich auf den Flur hinaus, darauf bedacht, Fran nicht zu wecken. Die Kinder schliefen in ihren Zimmern. Ich sah, wie sich ihre Brustkörbe hoben und senkten, wollte mich am liebsten zu ihnen legen, sie festhalten und nie wieder loslassen. Stattdessen ging ich langsam die Treppe hinunter. Mein fünfzigster Geburtstag war in den chaotischen, aufgewühlten Tagen nach dem Attentat untergegangen. Fran hatte zwar eine Party für mich veranstalten wollen, aber ich hatte es als völlig abwegig empfunden. Nun war ich also ein Fünfziger. Ich war immer in guter körperlicher Verfassung gewesen, kräftig, agil. Ich hatte mich fit gehalten und trainierte täglich meine Feinmotorik. Aber in den Wochen seit meinem Besuch bei Danny im Krankenhaus hatte ich Veränderungen an mir festgestellt. Ich war ein Mann mit ergrautem Schamhaar, und die Haut um mein Kinn herum begann zu erschlaffen. Das war in meinem Alter alles normal, aber für mich war es unweigerlich ein Zeichen dafür, wie geschlagen ich war. Als hätte tief in mir etwas aufgegeben.
    Wenn wir älter werden, verlieren unsere Muskeln Kraft und Beweglichkeit. Unser Stoffwechsel verlangsamt sich und wir neigen zum Fettansetzen. Nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, lag ich da und stellte mir vor, wie sich meine Nervenzellen langsam abbauten. Mit jeder Sekunde, die verging, verschlechterte sich meine Reaktionszeit. Die motorische Abstimmung zwischen Hand und Augen begann nachzulassen, genau wie mein

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