Der Vater des Attentäters (German Edition)
sechs Wochen zu Hause in Lexington und hoffte wahrscheinlich, dort wieder an sein altes Leben anknüpfen zu können. Offenbar hatte sich das jedoch als unmöglich erwiesen, und er verließ die Stadt im Februar 2012. Danach dünnten die Informationen aus, aber Murrays Detektiv war auf die Adresse jener Obdachlosenunterkunft gestoßen, in der Cobb während der letzten paar Wochen gewohnt haben sollte.
Wir fanden die Unterkunft in einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße. Sie lag neben einer Methodistenkirche. Vor der Tür hockten Männer mit leeren Blicken, alle in der schmutzstarrenden weiten, aus mehreren Schichten bestehenden Uniform der Obdachlosen. Sie sahen weg, als wir aus dem Wagen stiegen, und einige schlurften lässig die Straße hinunter, um den zwei Männern zu entkommen, die womöglich Bullen waren. Aber statt einer Dienstmarke hielt Murray einen Hundert-Dollar-Schein in die Höhe.
«Frederick Cobb?», fragte er. Schweigen. Das Bedürfnis, sich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten, war offenbar stärker als der Drang nach Geld.
Drinnen saß eine Sozialarbeiterin hinter einer trüben Plexiglasscheibe. Murray stellte sich vor und sagte, er suche nach einem ihrer Gäste.
«Wir nennen sie Klienten», sagte sie.
Murray erklärte ihr, er sei ein Sammelklagenanwalt, der Cobb in einem Zivilprozess vertrete. Das Urteil sei ergangen, und Cobb stehe eine beträchtliche Summe zu. Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen, beiläufig, ohne dass er den Blick auch nur einen Moment von ihr gewendet hätte. Die Sozialarbeiterin zuckte mit den Schultern, war weder beeindruckt noch argwöhnisch, und konsultierte eine unsichtbare Liste irgendwo unter dem Plexiglas.
«Ist nicht mehr hier», sagte sie, und als sie zu einer Antwort auf die Frage gedrängt wurde, ob Cobb eine Art Nachsendeadresse hinterlassen habe, drehte sie sich zu einem alten Desktop-Computer und hackte auf die Tastatur ein, als sei alle Technologie eine einzige Unannehmlichkeit. Minuten vergingen. Murray und ich wechselten Blicke. Wir hatten noch drei Stunden, bevor wir uns ins Auto setzen und zurück in die Stadt fahren mussten. Zwei, wenn wir mit einer Verschnaufpause im Gericht ankommen wollten.
«Block acht», sagte sie, «in dem Wohnkomplex an der Powell.»
Sie schrieb die genaue Adresse auf ein Stück Papier und schob sie durch den Schlitz unter der Scheibe. Murray dankte ihr, und wir liefen zum Wagen.
Es kostete uns hundert Dollar, den Verwalter von Cobbs Wohnkomplex dazu zu bringen, uns zu bestätigen, dass Cobb dort wohnte, und noch mal zweihundert, dass er uns in dessen Wohnung ließ. Es war ein magerer Kerl, und er schien mir zu der Sorte zu gehören, die durch geheime Gucklöcher Frauen in ihren Wohnungen belauerte.
«Er ist fünf Tage mit der Miete im Verzug», sagte der Verwalter. «Noch zwei Tage, und sein kompletter Kram landet in Müll.»
«Arbeitet er?», fragte Murray. «Geht er viel raus?»
«Sehe ich aus wie sein Privatsekretär? Der Großteil dieser Idioten wird uns vom Staat hier reingesetzt, aber die sind nur das Leben auf der Straße gewohnt, wissen Sie. Die haben keinen Schimmer, was sie mit einem Zuhause anstellen sollen, wo sie nicht in die Büsche scheißen und gleichzeitig auf ihren Kram aufpassen müssen.»
Das Gebäude war etwa zehn Jahre alt und sollte bei aller Armut, trotz der Lage und der miesen Infrastruktur wohl ein Gefühl von Optimismus verbreiten, weshalb es in leuchtenden, mittlerweile allerdings völlig verblichenen Grundfarben gestrichen war, wie ein Donald-Duck-Kostüm, das jemand vor ewigen Zeiten in der Sonne vergessen hatte.
Cobbs Wohnung war klein und unauffällig. Es gab eine Matratze auf dem Boden und drei Stühle, aber keinen Tisch. Kisten mit Gerümpel standen entlang der Wände, Kleider steckten in Müllbeuteln. Es roch ziemlich muffig.
«Wenn er nach Hause kommt, während Sie hier drin sind», sagte der Verwalter, «würde ich mir überlegen, durchs Fenster zu verschwinden.»
«Danke», sagte Murray. «Wir werden es in Erwägung ziehen.»
Der Verwalter machte beim Hinausgehen die Tür hinter sich zu. Murray und ich sahen uns um. Es gab eine kleine Kochnische, etliche Zeitungsstapel und seltsamerweise mehrere Exemplare einer Elternzeitschrift. Ich ging in die Hocke und sah durch den Inhalt von Kisten und Müllbeuteln. Murray durchsuchte die Kochnische.
«Ich war mal mit einer Schizophrenen zusammen», sagte er. «Bei der sah es ziemlich so aus wie hier. Außerdem hing
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