Der Vater des Attentäters (German Edition)
der Sache zu tun hat. Das war ein Faktum, aber war es relevant?
Und diese Fakten waren nur ein Teil des Puzzles. Dazu kamen Psychologie und Gefühle. Krebs war Krebs, ganz gleich, was man dachte oder fühlte. Er hatte kein Motiv, kein Alibi. Er entwickelte sich nach einem festen Muster und war behandelbar oder nicht. Die menschlichen Taten waren komplizierter. Sie waren schwerer zu verstehen und noch schwerer vorauszusagen. Mein Sohn wurde eines Verbrechens angeklagt und weigerte sich, seine Schuld anzuerkennen oder seine Unschuld zu beteuern. Das war ebenfalls ein Faktum, aber was bewies es?
Wir saßen vierzig Minuten da und warteten, dass Cobb nach Hause kam. Die Sonne warf Schatten auf den Boden, die langsam auf unsere Füße zukrochen. Um 14.55 Uhr standen wir auf, warfen einen letzten Blick auf das Stillleben von Cobbs Existenz, liefen zum Auto und fuhren in Richtung Gericht.
Auf dem Highway staute es sich, rote Bremslichter so weit das Auge reichte. An einer Anschlussstelle in der Stadt waren vier Wagen auf der mittleren Spur ineinandergefahren. Ich suchte im Radio nach Informationen. Murray versuchte die Spur zu wechseln, aber es ging gar nichts mehr. Sechsundzwanzig Minuten lang bewegte sich nichts. Es war inzwischen 15.25 Uhr. Daniels Termin begann um 16 Uhr. Ich rief Fran an.
«Wenigstens eine halbe Stunde», sagte ich. «Tu, was immer du kannst, um sie hinzuhalten.»
«Ich bin eine Hausfrau aus Connecticut», sagte sie. «Wie genau soll ich sie hinhalten?»
«Ich meine nur», sagte ich, «wenn es irgendetwas gibt, das …»
Ihre Stimme klang angespannt. «Hier geht es drunter und drüber. Die Kinder verstehen nicht, warum du nicht hier bist.»
«Ich sage doch, Murray hat Frederick Cobb aufgespürt, diesen Exsoldaten, der mit Danny in dem Güterzug war.»
Sie seufzte. Ich konnte fast hören, wie sie innerlich mit sich kämpfte, ob sie sich auf dieses Gespräch mit mir einlassen wollte. «Sie haben uns für fünf Minuten zu Danny gelassen», sagte sie. «Er hat nach dir gefragt. Wo du wärst. Ich habe ihm erklärt, dass du einer Spur nachgehst. Als befänden wir uns in einem schlechten Detektivroman.»
Mein Puls wurde schneller. «Was hat er gesagt?»
«Dass er nicht viel zu essen kriegt. Er meint, nie wäre davon die Rede, dass man im Gefängnis so hungrig bleibt.»
Ich spürte die Sorge in mir hochsteigen. Ich sagte: «Ist er … Kannst du ihm etwas ausrichten? Nenn ihm die Namen Frederick Cobb und Marvin Hoopler und schau, wie er …»
«Paul», sagte sie.
Ich hielt inne. Wir schwiegen. Sie atmete langsam aus.
«Ich sage das mit aller Liebe, und ich möchte, dass du mir genau zuhörst. Wenn du für Danny da sein willst, weil du das Gefühl hast, dass du früher nicht genug für ihn da warst, nun, dann musst du da sein – du selbst. Dann musst du im Warteraum sitzen, notfalls stundenlang, und dich ohne Murren mit den fünf Minuten zufriedengeben, die sie dir zugestehen. Und in diesen fünf Minuten musst du deinen Sohn umarmen, bei ihm sitzen, seine Hand halten und ihm sagen, dass du ihn liebst. Nicht über Strategien reden oder ihn nach Einzelheiten ausfragen. Du musst ihn einfach nur halten. Er braucht seinen Vater.»
Murray gelang es endlich, den Wagen auf die rechte Spur zu lenken. Die Ausfahrt lag noch tausend Meter vor uns.
«Scheiß drauf», murmelte er, steuerte auf den Standstreifen, gab Gas und fuhr mit achtzig an der bewegungslosen Kolonne vorbei.
«Okay», sagte ich zu Fran. «Wir kommen gerade wieder voran. Ich sehe dich in zwanzig Minuten.»
«Paul», sagte sie. «Hast du gehört, was ich gesagt habe?»
Ich rieb mir mit der freien Hand über das Gesicht. «Ich habe es gehört», sagte ich, «und ich … du hast nicht Unrecht. Aber ich denke, was Danny im Moment mehr als alles andere braucht, ist seine Freiheit, und ich …»
«Nein», sagte sie. «Du hörst mir nicht zu. Du rennst herum, jagst Phantomen hinterher und tust alles, was du kannst, um dir deine Gefühle vom Leib zu halten. Schatz, ich liebe dich … ich habe einfach nur Angst, dass du dir, wenn alles vorüber ist, Vorwürfe machst, keine Zeit mit ihm verbracht zu haben.»
Wenn alles vorüber ist . Was sie meinte, war, nach dem Prozess, nach seiner Zeit in der Todeszelle. Was sie meinte, war, nachdem sie meinen Sohn hingerichtet hatten.
«Wir fahren jetzt durch Nebenstraßen», sagte ich. «Murray setzt mich direkt vor der Tür ab. Lass sie nicht anfangen, bevor ich da bin.»
Ich legte auf. Murray
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