Der Vater des Attentäters (German Edition)
animalische Öffnungen, nur mit einem winzigen Spalt zwischen den Beinen, wo der Rand der Gussform verlaufen war.
Sie ordnete gerade Bücher in die Regale, als er sie zum zweiten Mal ansprach. Diesmal hatte sich Daniel aufgeschrieben, was er sagen wollte, hatte es auf die Rückseite des Notizbuchs gekritzelt, das er in der Hand hielt. Sie trug an diesem Tag Sandalen. Er sah, dass ihre Zehen perfekt gebräunt waren, und während die Zehen der meisten anderen Leute unterschiedlich lang waren, waren ihre alle gleich, als wären sie einer nach dem anderen mit derselben Form gemacht worden.
«Entschuldige», sagte er. «Kannst du mir sagen, wo die Russen stehen?»
Nein, das war es nicht. Er warf einen Blick auf sein Notizbuch. Er hatte ein Wort vergessen. «Die Romane», sagte er. «Die russischen Romane.»
Ihm war aufgefallen, dass Natalie ihre Mittagspause gerne bei den fremdsprachigen Klassikern verbrachte. Puschkin, Tolstoi, Solschenizyn. Es schien sie mehrmals am Tag zu deren Regalen zu ziehen, und dann strich sie über die Buchrücken, als brächten sie Glück.
Sie lächelte ihn an, und wieder fühlte er, wie sich in seinem Mund Speichel bildete.
«Suchst du nach jemand Speziellem?», fragte sie.
«Nach Dostojewski», sagte er, «den Aufzeichnungen aus dem Kellerloch . Ach, und, ähm, Gogol.»
Er konnte sehen, dass sie … nein, nicht beeindruckt, aber doch neugierig war. Er sah immerhin nicht schlecht aus, hatte ein offenes Gesicht und einen Körper, den Monate harter Arbeit draußen an der frischen Luft gestählt hatten. Er war der Spross eines Ostküstenintellektuellen und eines Westküstenfreigeistes. Er war, mit anderen Worten, ein echter Fang.
«Ist das für ein Seminar?», fragte sie.
«Nein», sagte er. «Für mich.»
Sie kaute einen Moment auf ihrer Lippe. Es war eine dieser kleinen Gesten, die aus einer unbewussten Reaktion entstehen, mit der Zeit aber zu so etwas wie einer Art Markenzeichen werden.
«Komm mit», sagte sie und führte ihn durch die Regale. Seine Brust fühlte sich an wie zusammengeschnürt, und er wusste nicht, was er mit den Händen tun sollte. Seine Finger verkrampften sich immer wieder zu Fäusten. Die Art, wie sie sich in dieser weißen Hose bewegte, war nicht weniger als ein Wunder. Wenn es abends kein Spiel im Fernsehen gab, sahen sich die Kerle in seinem Haus Pornos an. Im Bad gab es eine ganze Bibliothek, die DVDs stapelten sich bis in Brusthöhe. Jemand hatte behauptet, die Sammlung existiere schon seit den Achtzigern, damals noch mit Videos, und jede neue Generation füge ein paar neue Klassiker hinzu. Wenn man auf dem Klo saß, konnte man die Titel auf den DVD -Hüllen lesen: Heiße Miezen , Breast Men , Arschficker XII . Wenn Daniel auf seinem Bett lag und die Bücher aus der Bibliothek las, drang von nebenan das Stöhnen besprungener Frauen durch die Wände.
Weiße Hosen, dachte er jetzt. Weiße Hosen. Warum hatten sie ihm das sagen müssen? Er konnte an nichts anderes denken, als dass die versauten Dreckskerle dieses schöne, unschuldige Mädchen in den Arsch ficken wollten.
«Die Aufzeichnungen aus dem Kellerloch », sagte sie und blieb vor einer Reihe abgegriffener gebundener Bücher stehen. Sie zog eines davon heraus und gab es ihm. «Gogol steht im nächsten Gang.»
Er konnte sehen, wie es sie freute, ihm die Bücher zu geben. Das war es, was sie an ihrer Arbeit so genoss: anderen dabei zu helfen, diese Texte zu entdecken, die ihr so viel bedeuteten.
Er betrachtete das Cover, das einen bärtigen jungen Mann zeigte, förmlich angezogen, aber ungepflegt, mit einem leicht irren Ausdruck in den Augen. Es war genau die Art Buch, vor der er normalerweise zurückschreckte, weil sie ihm veraltet und belanglos erschien. Er spürte, wie sie ihn erwartungsvoll ansah, und da er nicht wusste, was er sagen sollte, schlug er das Buch an einer beliebigen Stelle auf und las laut vor.
«‹Ich habe mir Abenteuer ausgedacht und das Leben selbst zurechtgedichtet, um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben. Wie oft ist es geschehen, dass ich mir, sagen wir, beleidigt vorkam, so, ohne jeden Grund, absichtlich; und obwohl ich selbst wusste, dass ich überhaupt keinen Grund hatte, dass ich mir selbst etwas vormachte, brachte ich mich trotzdem so weit, dass ich mich schließlich tatsächlich tief gekränkt fühlte.›»
«Es ist einer der ersten psychologischen Romane», erklärte sie ihm. «Eines der ersten Bücher, das zu beschreiben versucht, was die Menschen denken, nicht,
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