Der Venuspakt
an deinem Styling ändern!», befand sie und begann mit Kamm, Puderquaste
und Lippenstift zu hantieren, nachdem sie ihre Schwester auf einen Stuhl ge-
drückt hatte. «Schließ die Augen!»
Nuriya war ganz froh zu sitzen, denn auf einmal wurde ihr schwindelig
und die Knie drohten ihren Dienst zu verweigern. Hatte sie sich tatsächlich
gerade gewünscht, der unheimliche Beobachter wäre in ihr Schlafzimmer
gekommen? Ganz so, als wäre er ein dunkler Ritter, der die Angebetete ent-
führen und auf seine einsame Burg irgendwo in den schottischen Highlands
verschleppen wollte? Das ist ja absurd! Sie versuchte, das hysterische Kichern,
das in ihr aufsteigen wollte, zu unterdrücken. «Ich habe zu viele Liebesroma-
ne gelesen.»
«Was murmelst du da? Halt endlich still, sonst wird das nie was mit diesem
Lidstrich!», tadelte ihre Schwester und Nuriya gehorchte.
In Taos Übungsraum hatte sie einen kurzen Augenblick gedacht, diesem
heimlichen Beobachter bereits vor langer Zeit begegnet zu sein und ihn gut
zu kennen.
Die behutsame Art, mit der er versuchte ihre Gedanken zu lesen, schien ihr
so vertraut, dass sie fast alle Vorsicht vergessen und sich ihm geöffnet hätte.
Doch ihre endlosen Übungen zum Selbstschutz waren nicht vergeblich gewe-
sen. Sie war gut ausgebildet.
Nachdem es ihr gelungen war, im letzten Moment ihre mentalen Schutz-
schilde zu aktivieren, konnte sie seine Frustration und gleich darauf ein aner-
kennendes Lächeln spüren, das wie ein zarter Windhauch ihre erhitzte Haut
zu umschmeicheln schien.
Er war es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden, hatte der Fremde sie wis-
sen lassen, während Nuriya in ihrem kleinen Wagen vor ihm geflohen war. Wir sehen uns wieder! , hallten seine Worte in ihrem Kopf – und was im ersten
Moment wie eine Drohung geklungen hatte, schien ihr nun wie ein wunder-
volles Versprechen.
«Ist alles in Ordnung, Nuriya? Du bist auf einmal ganz blass geworden!»
Sie schüttelte sich, so als wollte sie einen unangenehmen Gedanken los-
werden und öffnete vorsichtig ihre Augen. Aus dem Spiegel blickte ihr eine
Märchenfee entgegen. Die Haare glänzten und auf den dichten Tressen glitzer-
ten unzählige winzige Lichter. Ihre Sommersprossen waren verschwunden.
Stattdessen bewunderte sie mit ihren eigenen tiefgrünen Augen den kühnen
Bogen ihrer Brauen und das einladende Schimmern voller Lippen.
«Ist das Feenzauber?», fragte sie misstrauisch.
Selena widersprach fröhlich: «Der einzige Zauber besteht darin, dass du
dich endlich einmal so siehst, wie du wirklich bist. Und mit dieser Magie ...»,
sie hob abwehrend ihre Hände, «habe i c h nichts zu tun! Irgendetwas scheint
mit dir geschehen zu sein. Bist du etwa verliebt?»
Jetzt musste auch Nuriya lachen. «Ganz gewiss nicht!»
Asher war es gewohnt, von seinem jüngeren Bruder ohne weitere Erklä-
rungen einbestellt zu werden, und fügte sich auch dieses Mal gutmütig. Er
erreichte den vorgeschlagenen Treffpunkt pünktlich und suchte sich einen
strategisch günstigen Tisch, von dem aus er die gesamte Bar gut überblicken
konnte.
Der Vampir kam am Abend des Öfteren hierher, wenn er in der Stadt war.
Die Inneneinrichtung des ›Refugium‹ erinnerte ihn ans Paris des ausgehen-
den 19. Jahrhunderts. Eine Zeit, an die er besonders gern zurückdachte.
Wie damals gab es hier die typischen, mit dunklem Leder gepolsterten Bän-
ke, vor denen quadratische Holztische ordentlich aufgereiht standen. Abends
wurden sie mit steifen Leinentüchern sauber gedeckt und je nach Anzahl der
Gäste von den flinken Kellnern und Serviermädchen zusammengeschoben.
Dadurch schuf man Intimsphäre für ein verliebtes Paar, das sich bei Kerzen-
schein tief in die Augen sehen wollte, oder ausreichend Platz für eine Gruppe
lärmender Freunde.
Die Holzvertäfelung war mit der Zeit vom Rauch nahezu schwarz gefärbt
und die hohen Spiegel an den Wänden etwas blind geworden. Doch sie waren
noch immer klar genug, um die mächtigen Kristalllüster, die von der Decke
hingen, tausendfach widerzuspiegeln. Nicht wenige, die zum ersten Mal hier-
her kamen, stellten verwirrt fest, dass die Bar sehr viel kleiner war, als sie auf
den ersten Blick erschien.
Asher vertrieb sich gern die Zeit damit, die Gäste zu beobachten. ›Refugi-
um‹, das war ein bewusst gewählter Name, denn hier hatten alle Wesen der
magischen Welt Zutritt, solange sie sich an die Regeln hielten – und die waren
in wenigen Worten zusammengefasst: keine
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