Der Venuspakt
Selena für sie beide bestellt
hatte. Dabei blieb ihr Blick an einem dunkelhaarigen, attraktiven Mann hän-
gen, dessen Interesse sie gleich beim Betreten der Bar gespürt hatte.
Sofort schaute er zur Seite, fast, als fühle er sich ertappt. Sein kurz geschnit-
tenes Haar betonte das ebenmäßige Profil und die sinnlichen Lippen, die der
Mann allerdings fest zusammenpresste. Fast so, als ärgere er sich über etwas.
Sein lässiger, dunkelblauer Pullover konnte die breiten Schultern nicht ver-
bergen, und Nuriya hätte wetten können, dass der restliche, leider hinter dem
Bistrotisch verborgene Körper, ebenso ansehnlich war.
Die jungen Frauen am Nachbartisch schienen der gleichen Meinung zu
sein, denn sie starrten ihn an, als wäre er ein besonderes Dessert. Nuriya hoffte
für ihn, dass er diese Form der Bewunderung genoss. Sie selbst hätte an seiner
Stelle vermutlich so schnell wie möglich die Flucht ergriffen.
Eine der Frauen, die mit ihrem schmalen Kleid ihre weiblichen Rundun-
gen besonders gut zur Geltung brachte, stand auf und zog dabei ihren Rock
beiläufig zurecht. Nun war ein gutes Stück mehr von ihren langen Beine zu
sehen. Sie warf den Freundinnen ein siegesgewisses Lächeln zu, so, als wollte
sie sagen: «Seht her, so macht man das!», und schlenderte mit einladendem
Hüftschwung in Richtung ihrer männlichen Beute.
Fasziniert beobachtete Nuriya, wie sie in Reichweite des Mannes plötzlich
zu straucheln schien. Hätte er nicht blitzschnell ihren Arm ergriffen, um ei-
nen Sturz zu verhindern, wäre sie garantiert auf seinem Schoß gelandet.
«Kleines Biest!» Nuriya musste lachen, denn der Mann schaute die empörte
Blondine während seiner Rettungsaktion nicht einmal an. Im Gegenteil, ein
Blick auf sein Profil genügte, und das Mädchen floh zurück zu ihren Freun-
dinnen. Keine von ihnen wagte es anschließend, auch nur einmal noch hin-
überzusehen. Nuriya bedauerte in diesem Moment sehr, dass sie aus Eitelkeit
auf ihre Brille verzichtet hatte und ihr deshalb die feineren Nuancen seiner
Mimik entgingen.
«Besonders freundlich scheint er nicht zu sein!», dachte sie und blickte sich
neugierig um, wem wohl nun sein eindeutig ärgerlicher Blick gelten mochte.
Erstaunt bemerkte sie, dass ihre Schwester aufgesprungen war und einem
hoch gewachsenen Blonden entgegenlief. «Niemand hat mir gesagt, dass hier
ein Modeltreff ist!», flüsterte sie leicht panisch. Aber dann wurde ihr klar, dass
dies der ›wunderbare Erik‹ sein musste, von dem Selena pausenlos schwärmte.
Die beiden kamen eng umschlungen zu ihr herübergeschlendert und mit
einem verschwörerischen Lächeln, das ein hinreißendes Grübchen in seine
Wange zauberte, beugte sich Erik zu ihr herab und flüsterte: «Ich kann nichts
dafür, ehrlich! Sie ist einfach sehr leidenschaftlich!»
«Tatsächlich?» Nuriya hätte dieses Attribut niemals auf ihre Schwester an-
gewandt. Doch offenbar war in den vergangenen Monaten mehr geschehen,
als sie geahnt hatte.
Nuriya las schon seit langem nicht mehr die Gedanken der sie umgebenden
Menschen. Die meisten waren ohnehin langweilig. Wer wollte schon wissen,
ob die Frau an der Bushaltestelle ihren Mann betrog – mit dessen Bruder! Oder
wie sehr dem Briefträger die Brüste der Nachbarin gefielen. Aber hier ging es um
Selenas Glück, versuchte Nuriya sich zu beruhigen und ignorierte einfach die
kleine Stimme, die ihr zuflüsterte, dass sie in erster Linie aus Neugier handelte.
Behutsam wagte sie einen Blick in Eriks Gedanken und fand darin über-
wältigende Zärtlichkeit, Bewunderung und eine ehrliche Liebe für Selena. Er-
leichtert wollte sie sich gerade zurückziehen, als sie noch etwas anderes sah.
Erschrocken sog sie die Luft ein.
«Was ...?», doch Erik schaute sie fest an: Sie hat keine Ahnung! ,warnte seine
Stimme in ihrem Kopf.
Sie weiß nicht, dass du ein Werwolf bist? Wie hast du das vor ihr verheimlichen
können? Etwas verunsichert, weil sie bisher noch nie jemandem seiner Art be-
gegnet war, fragte Nuriya noch einmal nach: Das ist es doch, was du bist? Fast hoffte sie, sich zu irren. Doch Erik widersprach nicht und sein lautloses
Seufzen schien tief aus seiner Seele aufzusteigen.
Sie fand ihn trotz seines Geheimnisses sympathisch und seine offensichtli-
che Qual betrübte sie. Dennoch, sie hatte die Pflicht, ihre Schwester zu schüt-
zen, deshalb bohrte Nuriya weiter: Was weißt du über uns? Ihr seid Feenkinder – und ziemlich begabte noch
Weitere Kostenlose Bücher