Der Venuspakt
wahrzunehmen,
der ihm durch die Gitterstäbe entgegenwehte. Sie schien sich nicht einmal
zu fürchten!
Er beobachtete aus der Ferne, wie das anbetungswürdige Geschöpf das Ge-
bäude verließ und über den Parkplatz lief. Vor einem kleinen, kugelförmigen
Auto blieb sie stehen, blinzelte verwirrt und rieb sich die Nase. «Hatschi!»,
nieste das Mädchen plötzlich so heftig, dass ihr gesamter Körper erschüttert
wurde. Zu Kierans Überraschung kicherte sie leise, stieg in den Wagen und
brauste davon.
«Was für ein Kobold!», dachte er amüsiert und materialisierte sich in den
Schulungsräumen. «Wer war das?»
«Dir auch einen guten Abend, Kieran!»
Tao drehte sich nicht einmal nach ihm um, sondern fuhr fort, die Übungs-
matten sorgfältig übereinander zu stapeln. Anstatt wie erwartet das Holz des
neuen Parketts, Schweiß und andere, noch viel unangenehmere Gerüche, die
Sterbliche normalerweise absonderten, wahrzunehmen, glaubte sich Kieran
in einen Frühlingshain versetzt. Mit halb geschlossenen Lidern nahm er ge-
nussvoll den Duft der rothaarigen Nymphe in sich auf, sicher, dass er ihn nie
vergessen würde.
Tao hatte ihre Aufräumarbeit inzwischen erledigt. Kieran musste an sich
halten, um sie nicht an der Schulter zu packen und die Antwort aus ihr heraus
zu schütteln. Er zwang sich zur Ruhe und endlich blickte sie ihn an.
«Nun?», fragte er und hob eine Augenbraue. Kein Muskel in seinem Gesicht
verriet, wie wichtig ihm ihre Antwort war. Die Vorstellung, dieses geheimnis-
volle Wesen nie wieder zu sehen, ließ sein kaltes Herz schneller schlagen und
er erhöhte den Druck auf Taos Gedanken. Sie bekam zum ersten Mal eine Ah-
nung von seiner wahren Macht und ging zitternd in die Knie. «Kieran, bitte!»
Er riss sich zusammen. «Tao, wer war dieses Mädchen?»
«Ich habe ihr Stillschweigen versprochen und du weißt, dass ich mein Wort
halte!»
Kieran hätte die Antwort aus ihr herauspressen, ihre Erinnerung schänden
können, doch war es nicht gerade ihre Loyalität, die er so schätzte?
«Ich werde es herausfinden.»
Mit diesen Worten verschmolz er mit der Dunkelheit.
Seit Tagen hatte Nuriya ihre Konzentrations- und Entspannungsübungen
gemacht und war jeden Abend zum gemeinsamen Meditieren mit ihrer Trai-
nerin und Freundin gegangen, bis sie schließlich heute Abend ihren Seelen-
frieden wiedergewonnen zu haben schien und so gut wie nie zuvor gekämpft
hatte. Während sie Tao dankbar umarmte, hatte sie plötzlich seine Augen über
ihren Körper wandern gespürt. Wie ein Blitz war Nuriya herumgeschnellt,
aber der Beobachter hatte sich in undurchdringliche Schatten gehüllt. Sie
fühlte seinen brennenden Blick noch, als sie in ihr Auto stieg und nach Hause
raste.
Daheim erwartete sie eine unternehmungslustige Selena.
«Komm, lass uns ausgehen! Erik hat angerufen, er ist wieder in der Stadt
und will uns treffen. Nuriya, bitte sag nicht nein! Du musst ihn unbedingt
kennen lernen.»
«Einverstanden.» Nuriya war selbst etwas überrascht, so spontan zugesagt
zu haben. Sie war inzwischen neugierig auf den Mann geworden, von dem
ihre Schwester unentwegt mit verklärtem Blick schwärmte. Und warum auch
nicht? Er war ihre erste große Liebe, soweit Nuriya das beurteilen konnte.
«Wirklich? Dann muss ich ihm gleich Bescheid geben!», freute sich ihre
Schwester und hüpfte davon.
«Warte! Ich muss unbedingt vorher duschen und etwas Make-up könnte mir
auch nicht schaden», fügte sie nach einem kritischen Blick in den Spiegel hin-
zu. «Kannst du mir was leihen? Ich fühle mich heute irgendwie ... dämonisch.»
Selena schaute ihre Schwester erstaunt an.
«Ich hatte heute mit Tao den perfekten Kampf. Es war wundervoll!»
Selena konnte Nuriyas Begeisterung für asiatischen Kampfsport nicht ver-
stehen, aber wenn es dazu führte, dass ihre große Schwester endlich ein wenig
Lebensfreude zeigte, dann war ihr alles recht. Sie lachte und versprach, sich um
ihre Sommersprossen und wilden Haare zu kümmern, wenn sie nur mitkäme.
Träumerisch legte Nuriya ihren Kopf in den Nacken und drehte sich mit
weit ausgebreiteten Armen im Kreis.
«Der Kampf mit Tao hat mir wirklich gut getan», wisperte sie und fühlte
sich zum ersten Mal seit Jahren unbeschwert und glücklich. In diesem Mo-
ment nahm sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr und fuhr blitz-
schnell herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse.
Selena stand in der Tür und räusperte sich. «Wir müssen wirklich etwas
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