Der Venuspakt
Tee?» Ich unterdrückte irritiert meinen
erneut aufwallenden Ärger und riss mich zusammen.
Was dachte sie sich dabei, mich so mitleidig anzusehen!
Bequem in den Sessel gekuschelt, beobachtete ich sie über den Rand meiner
Teetasse hinweg. Dieses seltsam fremde Geschöpf vor mir besaß alles, wonach
ich mich sehnte. Sie wirkte selbstbewusst und war, den Veränderungen im La-
den zufolge, sehr geschäftstüchtig. Zudem sah sie auch noch hinreißend aus.
Allein ihr Haar war ein Traum! Seidig floss es über die schmalen Schultern bis
fast zur Taille hinab. Selena war zwar ebenso blass wie ich, aber bei ihr wirkte
die helle Haut geradezu ätherisch und gab ihr ein aristokratisches Flair. Ihre
schmalen Hände glitten flink über die Tastatur des Laptops und auch ohne
die schmeichelnden Linien des schwarzen Kleides hätte man ihre Figur nicht
anders als perfekt bezeichnen können.
Als Selena endlich die Papiere beiseite legte, versuchte ich, meine Stimme
freundlich klingen zu lassen: «Guten Morgen. Du bist aber früh hier.» Das klang in ihren Ohren offenbar wie ein weiterer Vorwurf und sie blickte ver-
wundert auf, sagte dann aber: «Ich glaube, ich sollte mich entschuldigen. Du konntest
von der Lesung nichts wissen und warst sicher sehr überrascht.»
«Allerdings. Vielleicht sollte ich mich erst einmal mit den Veränderungen
im Laden vertraut machen und dann werden wir einen Arbeitsplan für die
nächsten Wochen aufstellen.» Waffenstillstand.
«Himmel, Nuriya! Was ist denn das?», fragte mich Selena, als sie wenige
Tage später in den Laden wirbelte und eine alte Kiste im Antiquariat stehen
sah. Ihre unbeirrt freundliche Art irritierte mich ständig aufs Neue. Bisher war
ich noch nicht dahinter gekommen, was diese Veränderungen in der Aura
meiner Schwester ausgelöst hatte. Ich spürte die Röte in meinem Gesicht auf-
steigen und entgegnete schnippisch: «Du wirst es nicht glauben, aber in der
Kiste sind Bücher. Ich habe sie zu einem sehr guten Preis bekommen.»
Insgeheim machte ich mir Vorwürfe wegen des überstürzten Kaufes. Aber
ich hatte einfach nicht Nein sagen können, als dieser arme, alte Mann mich
anflehte, die Bücher zu nehmen. Zumindest hatte ich nun für lange Zeit aus-
reichend Lesestoff, denn bei einem kurzen Blick in die Truhe hatte ich bereits
ein paar abgegriffene Vampirromane entdeckt, für die ich eine heimliche Lei-
denschaft hegte. Das war jedoch keine Entschuldigung für den überhöhten
Preis, den ich gezahlt hatte. Mir dämmerte allmählich, dass ich als Geschäfts-
führerin wohl fehl am Platz sein würde.
Aber das alles mochte ich nicht zugeben und fauchte deshalb: «Im Übrigen
möchte ich dich bitten, zukünftig weniger auffällig gekleidet hier aufzutau-
chen! Die Leute kriegen ja einen Schreck, wenn sie dich sehen!»
Selena blickte mich einen Augenblick ratlos an. Dann wandte sie sich wort-
los der monatlichen Abrechnung zu.
Ich wühlte ärgerlich in der Bücherkiste und bemühte mich, Ninsuns
Kommentare zu meinem erneuten Anfall von Feindseligkeit zu überhören.
Schließlich fand ich ein paar vielversprechend klingende Titel und verließ
wütend den Laden damit.
Nachdem ich eine Zeit lang durch die Straßen gelaufen war, wurde mir klar,
woher auch immer diese Anfälle schlechter Laune kommen mochten, ich
musste etwas dagegen unternehmen.
Und kaum hatte ich diesen Entschluss gefasst, fand ich mich auch schon im
Hof des ehemaligen Fabrikgebäudes wieder, in dem Tao, meine Trainerin für
asiatische Kampfkunst, ihre Schule unterhielt. Mein Unterbewusstsein war
eindeutig entscheidungsfreudiger als ich.
Tao verzog keine Miene. Aus ihren Augen sprach jedoch Freude, als sie mich
kurz angebunden aufforderte, mich umzuziehen.
Und dann kämpfte ich. Verbissen, aber aussichtslos versuchte ich sie an-
zugreifen. Zwar konnte ich ihren geschmeidigen Attacken entgehen, wirkte
dabei aber steif und ungelenk.
«Nuriya, hast du alles vergessen?», fragte sie mich schließlich, als ich nach
einer halben Stunde verschwitzt und mit hochrotem Gesicht auf der Matte lag
und nach Atem rang.
«Sieht so aus», sagte ich mit schiefem Grinsen und schloss für einen Mo-
ment die Augen.
«Du bist aus dem Gleichgewicht. Geh nach Hause und mach deine Übun-
gen. Ich erwarte dich morgen nach Sonnenuntergang zum Training.»
Mit diesen Worten war ich entlassen.
Kapitel
Die Pubs hatten längst geschlossen und Nebel kroch von Fluss herüber, hin-
ein in die Gassen
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