Der Venuspakt
der Altstadt, als er plötzlich einen schrillen Schrei hörte. Der
Jäger erstarrte, hob kurz prüfend seinen Kopf und sog die kühle Nachtluft ein,
als könne er die Angst des Opfers wittern.
Noch bevor die Frau ihren Mund zu einem zweiten Hilferuf öffnen konnte,
war Kieran bei ihr. Er packte ihren bulligen Angreifer am Hals und riss ihn
zurück, als wäre er nicht mehr als lästiges Ungeziefer.
«Lauf!», flüsterte er mit heiserer Stimme. Nach angststarrem Zögern raffte
sie ihre zerfetzte Bluse über der bloßen Brust und verschwand mit klappern-
den Absätzen in der Dunkelheit. Kieran blickte ihr nach, bis ihn ein gurgeln-
des Geräusch an den zappelnden Vergewaltiger erinnerte. Angeekelt ließ er
ihn fallen.
Doch der Mann war zäh. Mit einem Fluch sprang er auf die Beine und ver-
suchte, einen wuchtigen Hieb bei Kieran zu landen.
Der fing den Faustschlag mit einer Hand ab. Lächelnd zerquetschte er lang-
sam die Pranke des Angreifers, bis dieser wimmernd in die Knie ging. Dann
packte er den Kerl erneut am Kragen, zog ihn bis auf Augenhöhe zu sich hoch
und starrte ihn drohend an. Kieran konnte nur ahnen, was der Mann in seinen
Augen sah, das ihn auf ein Mal alle Gegenwehr vergessen ließ. Mit Genugtu-
ung registrierte er, wie die Farbe aus dem Gesicht des Sterblichen schwand.
Er spürte seine Reißzähne länger werden und mit einer beinahe sanft an-
mutenden Handbewegung zwang er sein Opfer, den Kopf beiseite zu drehen.
Er hatte schon mehrere Tage nicht mehr gejagt und der nervöse Puls unter
der bleichen Haut erregte ihn derart, dass er nicht mehr zu unterscheiden ver-
mochte, ob es sein eigenes oder das Blut des Sterblichen war, dessen Rauschen
alle anderen Laute übertönte.
Mit einem Fauchen grub er seine Zähne in das weiche Fleisch, begann gierig
zu trinken und verlor sich alsbald im betörenden Strudel des Pulsschlages. Im-
mer schneller schlug das Herz, immer angstvoller pumpte es köstliches Blut
aus der klaffenden Wunde.
Mehr, noch mehr wollte Kieran trinken, sich im verbotenen Augenblick
reinen Glücks verlieren und darin Vergessen finden – und wäre es nur für
einen Wimpernschlag der Ewigkeit. Doch viel zu schnell floss weniger Blut,
verlangsamte sich der dröhnende Rhythmus und verstummte schließlich
vollends. Enttäuscht ließ Kieran den schlaffen Körper seines Opfers zu Boden
sinken, lehnte sich leicht benommen an eine kalte Mauer und wischte sich
mit dem Handrücken über seinen Mund. Seit langer Zeit hatte er nicht mehr
die Beherrschung verloren und auf diese Art getötet. Er würde sich dafür ver-
antworten müssen.
Ein finsteres Lachen erklang. Erst jetzt spürte er ihre Gegenwart. Sie waren
zu fünft und griffen sofort an. Den ersten Widersacher setzte Kieran mit ei-
nem präzisen Schlag außer Gefecht, den zweiten traf sein Stiefel so hart am
Kinn, dass das hässliche Geräusch eines gebrochenen Genicks deutlich zu hö-
ren war.
Die drei anderen Angreifer näherten sich gemeinsam. Ihre langen, vom
Wind geblähten Ledermäntel verliehen ihnen das Aussehen schmutziger
Westernhelden.
Und dann waren sie über ihm.
Kieran wirbelte herum, packte den Mann in der Mitte am langen Haar und
schleuderte ihn in hohem Bogen gegen die gemauerte Hauswand, wo er leblos
zu Boden glitt.
Rasch wandte er sich den beiden verbliebenen Gegnern zu, um sie eben-
falls unschädlich zu machen, da spürte er einen glühenden Blitz durch seinen
Körper fahren, dessen Schmerz ihn für einen Augenblick beinahe straucheln
ließ.
In Kierans Schulter steckte ein scharf geschliffener Wurfstern, von dem ein
Brennen ausging, das sich regelrecht durch seinen Körper fraß: Gift!
Seine Überraschung muss wohl für einen Augenblick in seinem Gesicht zu
lesen gewesen sein, denn die Gegner lachten zufrieden und stürzten sich mit
einem gemeinen Fauchen auf ihn – zweifellos in der Absicht, ihrem Opfer den
Todesstoß zu versetzen. Doch Kieran galt nicht ohne Grund als einer der bes-
ten Kämpfer unter den Vengadoren, einer sagenumwobenen Elitegruppe, die
im Auftrage des Rates für die Einhaltung der Regeln sorgte.
Jahrhundertelanges Training erlaubte ihm, den Schmerz in eine Energie-
quelle zu wandeln. Er griff so vehement nach den beiden, dass sich seine zu
gefährlichen Klauen gebogenen Finger tief ins Fleisch ihrer Schultern bohr-
ten. Das Splittern ihrer aneinander schlagenden Schädel hörte er schon fast
nicht mehr, als er mit den Schatten der Nacht verschmolz und
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