Der Venuspakt
dort aber keine Zeit gab, war zudem die Gefahr groß, sich in ihren
Weiten zu verlieren. In ihren Untiefen, so sagte man, lebten die alten Götter
und fürchterliche Dämonen.
Wer es verstand, die trennende Wand zwischen den Welten zu öffnen, den
lockten zauberhafte Landschaften. Wiesen in sattem Grün erstreckten sich
bis zu den Hügeln und Wäldern am Horizont. Das eigenartige Blau des Him-
mels spiegelte sich in lieblich plätschernden Bächen wider. Doch wenn man
genauer hinsah, dann waren die Wiesen sumpfig und verschlangen jeden, der
vom Wege abkam. Die Flussbetten führten kein echtes Wasser, sondern waren
Energieadern, die sich von den Durchreisenden, aber auch von den Schwa-
chen dieser Welt nährten. Den Mächtigen, die es verstanden, sie zu nutzen,
verhießen sie noch mehr Macht. Nik wollte nicht wissen, um welchen Preis.
Ihn schauderte bereits bei dem Gedanken an das Gefühl der Hilflosigkeit,
das ihn bei jeder Reise auf dem Pfad zwischen den Dimensionen befiel. Er be-
eilte sich jedes Mal, der Zwischenwelt so schnell wie möglich wieder zu ent-
kommen. Es hätte ihn allerdings nicht gewundert, wenn Kieran, der in diesem
Augenblick scheinbar so schwach vor ihm lag, zu denjenigen gehörte, die die
Energieadern der Zwischenwelt zu ihrem Vorteil nutzen konnten.
Er hoffte nur, dass dieser unheimliche Kerl seinen Freunden – oder besser
Blutsgeschwistern – keinen Schaden zufügen würde. Nicht auszudenken,
wenn Sylvain davon erfuhr.
Besorgt warf er einen Blick zum Bett hinüber, doch die Aura des Ohnmäch-
tigen wies keine Spur von Verunreinigung auf. Angelina und Donates hatten
das Problem offenbar im Griff.
Nik musste lächeln, als der daran dachte, was für ein Rebell sein vampiri-
scher Bruder noch vor zwanzig Jahren gewesen war. Er selbst hatte das zwar
nicht erlebt, weil er, ebenso wie Angelina, damals erst zum Vampir transfor-
miert wurde. Aber wenn man nur ein paar Prozent dessen glaubte, was man
Donates an Untaten nachsagte, dann hatte der rebellische Einzelgänger wäh-
rend der letzten drei Jahrhunderte alles getan, die Vampirgemeinde und den
magischen Rat zu verärgern. Aber einen Enkel Liliths, einer Göttin der Kinder
der Nacht, wies niemand so einfach in seine Schranken. Nicht zuletzt auch
deshalb, weil keiner genau wusste, über welche Macht der Winterfeld-Clan
tatsächlich verfügte. Und dabei, so hatte der kluge Sylvain entschieden, sollte
es auch bleiben.
Erst Angelina war es gelungen, den arroganten, blonden Unruhestifter zu
zähmen. Wahrscheinlich war es auch ihre Idee gewesen, die überschüssige
Energie des Geliebten in geordnete Bahnen zu lenken und ihn als Vengador,
als Agent und Vollstrecker des Rats der Vampire arbeiten zu lassen. Sie hat-
ten Kieran kennen gelernt, und der war Donates’ Lehrer und Pate geworden.
Schnell hatte Kieran ihr Potenzial erkannt und dafür gesorgt, dass man sie mit
geheimen Wissen über Gifte und andere Dinge, die Vampiren schaden konn-
ten, ausstattete.
Die Ausbildung zum Vengador dauerte in der Regel viele Jahrzehnte, manch-
mal gar Jahrhunderte. Dank seiner besonderen Abstammung und der damit
verbundenen Fähigkeiten durfte Donates jedoch von Anfang an mit Kieran
zusammenarbeiten, was seine Lehrzeit entscheidend verkürzte.
Nik erfüllte es mit Genugtuung, dass er sich mit dem unbehaglichen Ge-
fühl, das ihn stets in Kierans Gegenwart befiel, in guter Gesellschaft befand. Er
war noch nicht vielen geborenen Vampiren wie Kieran begegnet, denn ihnen
haftete nicht ohne Grund der Ruf an, unberechenbare Einzelgänger zu sein.
Aber nur Kieran hatte diese tödliche Aura, die Nik jedes Mal, wenn er sie spür-
te, eine Gänsehaut verursachte. Es schien, als bestünde seine Seele aus purem
Eis. Sein Lachen klang stets zynisch und seine Gedanken waren absolut un-
ergründlich. Nik hatte niemals auch nur annähernd die Gelegenheit gehabt,
weit genug vorzudringen, um die Gedanken des gefährlichen Kriegers lesen
zu können. Auch jetzt nicht, da er leblos auf seinem riesigen Bett lag.
Neugierig blickt Nik sich um. Er hatte das erste Mal die Gelegenheit, ein
Haus Kierans von innen zu betrachten. Erstaunlich eigentlich, dass er über-
haupt hineingelangen konnte. Er war sich nicht einmal sicher, ob er ohne Do-
nates’ Hilfe je wieder herauskäme.
Das Schlafzimmer war groß genug, um eine Drei-Zimmer-Wohnung daraus
zu machen. Natürlich gab es keine Fenster und Nik spürte, dass sie sich unter
der Erde
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