Der verbannte Highlander
Nach allem, was sie ihm gestohlen hatten, verdiente er da nicht ein wenig Glück?
Er hatte schon gestohlen. Nahrung, Kleidung, was immer auch nötig war, um zu überleben.
Aber das hier war etwas anderes. Hier ging es nicht ums Überleben. Er würde sie besitzen … aber zu welchem Preis?
Seit seine Eltern gestorben waren, hatte ihn niemand mehr so angesehen, wie Lizzie es tat. In ihren Augen fühlte er sich wie der Mann, der er hätte sein können, wenn die Umstände anders gewesen wären. Wenn er sie nahm, dann wäre er nicht besser, als der geächtete Straßenräuber, den sie versuchten, aus ihm zu machen. Sie würde ihn ansehen, wie er es verdient hatte, angesehen zu werden: wie ein Dieb, ein Gesetzloser, ein Mann ohne Ehre.
Konnte er es ertragen, den Hohn in ihrem Blick zu sehen und zu wissen, dass er gerechtfertigt war?
Nein , das nicht. Das niemals!
So sehr er auch behaupten wollte, dass es hier nur um das Land ging, konnte er es nicht. Sie war ihm nicht gleichgültig – wenn sie das jemals gewesen war. Er wollte, dass sie sich für ihn entschied.
Er würde sie Robert Campbell nicht kampflos überlassen.
Aber nicht heute Nacht. Heute Nacht war sein Zorn wie Blitzschlag – wild und bereit, jederzeit überall zuzuschlagen.
Ohne einen weiteren Blick kehrte er in den Turm zurück, fest entschlossen, die Bestie, die in ihm tobte, mit reichlich vom besten Rotwein der Campbells zu bändigen.
Lizzie ließ sich Zeit, solange sie konnte, doch es nützte nichts; sie hatte immer noch keine Antwort auf ihr Dilemma.
Wer hätte vor wenigen Monaten noch geglaubt, dass sie sich einmal dem Problem gegenübersehen würde, dass zwei Männer ihr den Hof machten?
Sie zog die Nase kraus. Denn was genau Patrick Murray von ihr wollte, wusste sie nicht. Er begehrte sie, aber seine Absichten hatte er niemals deutlich gemacht. Ehrlich gesagt, sagte er überhaupt recht wenig. Und sie war wohl kaum eine Expertin darin, männliche Beweggründe zu entschlüsseln. Sie hatte auch geglaubt, dass John sie wollte. Das hatte er auch, aber aus den falschen Gründen. Und so, wie Patrick sie heute Abend angesehen hatte, war sie sich inzwischen über gar nichts mehr sicher.
Hatte sie etwas falsch gemacht?
Das Herz krampfte sich ihr zusammen. Oder vielleicht hatte er seine Meinung geändert. War es das?
Sie musste es wissen. Sie musste sehen, was hinter seiner rätselhaften Schale steckte. Warum war er so verschlossen? Welches dunkle Geheimnis schwebte über ihm wie eine Gewitterwolke, die jeden Augenblick ihr stürmisches Werk der Zerstörung entfesseln konnte?
Wenn sie die richtige Entscheidung treffen wollte, dann musste sie alles wissen. Es war allerhöchste Zeit, die Luft zwischen ihnen zu reinigen.
Während sie den Weg hinauf und über den barmkin zurück zum Turm eilte, fragte sie sich, wann sie diesen plötzlichen Zug von Kühnheit entwickelt hatte. Etwas hatte sich in den vergangenen Wochen geändert, und sie vermutete, dass das Patrick Murray zu verdanken war. Er hatte recht: Sie hatte
sich selbst weggeschlossen – in mehr als einer Hinsicht. Ihre ruhige, ernsthafte Natur war durch das Stottern und die Angst davor, ausgelacht zu werden, noch verstärkt worden. Nach dem Desaster mit John hatte sie sich noch mehr zurückgezogen und sich hinter der Schutzmauer ihrer Pflicht versteckt. Wenn ihre Familie das ausgenutzt hatte, dann war das ebenso sehr ihre eigene Schuld.
Bei ihrer Rückkehr in den Saal wurde sie vom Trällern der Dudelsackpfeifen in Empfang genommen. Rauch von den Torffeuern kräuselte sich unter den Dachsparren und zog durch den zuhauf mit Clansmännern überfüllten Saal, die tanzend an ihr vorbeiwirbelten. Sie bemerkte mehr als nur eine Dienstmagd auf dem Schoß eines Wachmanns, und sehnte sich mit jähem Schmerz nach der Einfachheit eines Lebens, das nicht von Pflicht erschwert war. Rang und Privileg brachten Verantwortung mit sich, und noch nie war sie sich dessen so sehr bewusst gewesen, wie in diesem Augenblick. Was würde sie nicht dafür geben, frei wählen zu können!
Von der gegenüberliegenden Seite des Raumes fing sie Roberts Blick auf und lächelte. Er war gerade in eine Unterhaltung mit ihrem Bruder und dem Laird of Dun verwickelt, einem ihrer Nachbarn, der gekommen war, um an den Festlichkeiten teilzunehmen.
Patrick hingegen war nirgendwo zu finden. Seine Männer saßen immer noch trinkend am Tisch, doch er war verschwunden. Sie dachte kurz daran, nach ihm zu fragen, doch ihr wollte
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