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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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bleiben und niemals weitervererbt werden.
    Unfähig, diesen Gedanken länger zu ertragen, stand er auf und zog sich im Bad an, um seine Ehefrau nicht zu stören. Er verließ den Salt Tower ohne Frühstück und nahm kaum die Schneeflocken wahr, die wie Federn vom Himmel herabtrudelten. Als er von Gehege zu Gehege ging, fragte er sich, wie die Stimme seines Sohnes, heute an seinem vierzehnten Geburtstag, wohl klingen würde. Bei der Elf-Uhr-Tour hatte er nicht die Nerven, den Touristen die Hinrichtungsstätte zu zeigen, und wies nur, als die Besichtigung dem Ende zuging, von der Kapellentür aus darauf hin. Das stieß auf einen solchen Unmut, dass nicht einmal die Amerikaner sich für die Führung erkenntlich zeigten. Ihre übertriebene Begeisterung für die englische Geschichte war für die Beefeater nämlich überhaupt nur erträglich, weil sie in Sachen Trinkgeld großzügig waren. Er durchquerte die Grünanlagen und bezog Posten in der Water Lane, um auf Taschendiebe zu achten, aber ständig sah er seinen Sohn unter den Zuschauern. Also kehrte er zum Gehege des Komodowarans zurück und kontrollierte, ob es auch völlig sicher war, denn in wenigen Tagen sollte die Menagerie für das Publikum geöffnet werden. Alles, woran er beim Überprüfen der Schlösser denken konnte, war aber, dass Milo von der mächtigen Echse, die ein Pferd zu Fall bringen konnte, begeistert gewesen wäre.
    Seine Verabredung mit dem Mann vom Palast fiel ihm erst wieder ein, als er ihn, gut eingepackt gegen die Kälte, durch die Festung marschieren sah. Schnell eilte er zum Rack & Ruin, verfluchte sich selbst, weil er nicht mit einer glaubwürdigen Erklärung für das Verschwinden der Vögel mit den gelben Flecken am Kopf aufwarten konnte, und öffnete die Tür.
    »Was meinen Sie mit: Die Pinguine sind verschwunden?«, fragte Oswin Fielding und lehnte sich über den Tisch neben dem gerahmten Autogramm von Rudolf Heß.
    »Sie sind einfach nie hier angekommen«, antwortete Balthazar Jones und senkte die Stimme, damit ihn niemand hören konnte.
    »Und wo sind sie stattdessen?«
    Der Beefeater kratzte sich an seinem weißen Bart. »Im Moment bin ich mir nicht ganz sicher«, antwortete er. »Der Umzugsmann sagt, dass er tanken war, und als er vom Zahlen zurückkam, waren Heckklappe und Beifahrertür offen und die Tiere verschwunden.«
    »Wer war der Beifahrer?«
    Der Beefeater schaute beiseite. »Einer der Pinguine«, murmelte er.
    »Verdammt«, sagte der persönliche Diener Ihrer Majestät und fuhr sich mit der Hand durch die verbliebenen Haare. »Die Argentinier werden denken, dass wir sie absichtlich freigelassen haben, dabei wollen wir nie wieder mit denen aneinandergeraten. Hören Sie, falls jemand fragt, wo sie sind, sagen Sie, dass sie an Reiseübelkeit leiden oder so etwas und dass sie beim Tierarzt sind. Ich werde unauffällig ein paar Nachforschungen anstellen.«
    Oswin Fielding nahm einen Schluck von seinem Orangensaft und musterte den Beefeater. »Gibt es sonst etwas, das ich wissen sollte?«, fragte er. »Ich möchte keine Pannen, wenn die Menagerie eröffnet.«
    »Sonst läuft alles nach Plan«, erklärte er. »Außer dem Wanderalbatros haben sich alle Tiere gut eingelebt«, sagte er. »Die Giraffen lieben den Festungsgraben.«
    Der Höfling runzelte die Stirn. »Was für Giraffen?«, fragte er.
    »Das sind die Tiere mit den langen Hälsen.«
    »Ihre Majestät besitzt keine Giraffen.«
    Balthazar Jones schaute ihn verwirrt an. »Aber da sind vier im Graben«, sagte er.
    »Ich habe Ihnen doch eine Liste gegeben«, fauchte Oswin Fielding. »Und da stehen keine Giraffen drauf.«
    »Nun, irgendjemand muss wohl gedacht haben, dass sie der Königin gehören. Als ich kam, hatte man sie schon in einen Lkw verladen. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie einfach vergessen hatten, sie auf die Liste zu schreiben.«
    Es entstand eine Pause, in der die beiden Männer sich anstarrten.
    »Um die Sache auf den Punkt zu bringen, Yeoman Warder Jones«, sagte der persönliche Diener Ihrer Majestät. »Die Pinguine Ihrer Majestät sind verschwunden, und der Tower von London hat vier Giraffen entführt, die dem Londoner Zoo gehören.«
    Der Beefeater rutschte auf seinem Stuhl herum. »Wir können die Giraffen ja einfach zurückbringen und behaupten, es sei ein Irrtum gewesen.«
    Oswin Fielding beugte sich vor. »Ich bezweifle sehr, dass wir vier Giraffen durch London kutschieren können, ohne dass es jemand bemerkt. Sämtliche Zeitungen werden darüber

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