Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
schwach erleuchteten Zimmer geeilt war, ging Adeline in Gedanken die Liste durch. Die Churchills mussten natürlich eingeladen werden, ebenso Lord und Lady Huxley. Die Astors, die Heusers … Nathaniels Angehörige konnte sie später noch benachrichtigen. Diese Sorte konnte Adeline weiß Gott bei Roses Begräbnis nicht verkraften.
Und auch Ivory durfte nicht an der Trauerfeier teilnehmen: Ein Kind mit ihrem Charakter hatte bei so einer ernsten Gelegenheit nichts zu suchen. Hätte sie doch nur mit ihren Eltern in diesem Zug gesessen, hätten sie sie doch bloß nicht wegen einer Erkältung zu Hause gelassen. Denn was sollte Adeline jetzt mit dem Mädchen tun? Das Letzte, was sie in dieser Situation gebrauchen konnte, war ein Kind, das sie tagtäglich daran erinnerte, dass ihre Rose nicht mehr da war.
Sie schaute aus dem Fenster in Richtung Bucht. Starrte auf die Bäume, die die Klippe säumten, und auf das Meer, das sich bis in die Unendlichkeit erstreckte.
Adeline hütete sich davor, ihren Blick nach links wandern zu lassen. Das Cliff Cottage war nicht zu sehen, aber allein zu wissen, dass es sich dort befand, reichte schon. Seine grauenhafte Anziehungskraft ließ Adeline das Blut in den Adern gefrieren.
Eins stand fest: Eliza würde erst nach der Beerdigung informiert werden. Adeline würde es nicht ertragen, zu sehen, dass dieses Mädchen lebte, während Rose hatte sterben müssen.
Drei Tage später , als Adeline und Linus und die Dienerschaft sich auf dem Friedhof versammelten, machte Eliza einen letzten Rundgang durch das Cottage. Sie hatte bereits eine Kiste vorausgeschickt, sie hatte also wenig Gepäck. Nur eine kleine Reisetasche mit ihrem Notizheft und ihren persönlichen Sachen. Der Zug fuhr um zwölf in Tregenna ab, und Davies, der eine Pflanzenlieferung aus London abholen musste, hatte sich erboten, sie zum Bahnhof zu fahren. Davies war der Einzige, dem sie gesagt hatte, dass sie England verlassen würde.
Eliza warf einen Blick auf ihre kleine Taschenuhr. Es blieb noch Zeit für einen letzten Besuch im geheimen Garten. Den Garten hatte sie sich bis zuletzt aufgehoben und sich absichtlich wenig Zeit gelassen, aus Furcht, dass sie sich, wenn sie dort zu lange verweilte, nie würde losreißen können.
Aber so würde es sein. So musste es sein.
Eliza ging ums Haus herum bis zum Eingang ihres Gartens. Wo einmal ein Tor gewesen war, befand sich nun eine klaffende Lücke in der Mauer. Neben einem Loch im Boden lag ein Stapel riesiger Sandsteine, die darauf warteten, verarbeitet zu werden.
Es war in der vergangenen Woche geschehen. Eliza war gerade beim Unkrautjäten gewesen, als plötzlich zwei kräftige Männer ums Haus herumgekommen waren. Zuerst dachte sie, die beiden hätten sich verirrt, doch dann war ihr sofort das Absurde an dem Gedanken klar geworden. Niemand verirrte sich zum Cliff Cottage.
»Lady Mountrachet schickt uns«, erklärte der Größere.
Eliza stand auf, wischte sich die Hände an ihrem Rock ab und wartete darauf, dass der Mann fortfuhr.
»Sie sagt, dieses Tor muss weg.«
»Ach?«, erwiderte Eliza. »Komisch, das ist mir neu.«
Der kleinere Mann kicherte, während der Große verlegen dreinblickte.
»Und warum muss das Tor weg?«, fragte Eliza. »Wird ein neues eingesetzt?«
»Nein, wir sollen die Lücke zumauern«, antwortete der Große. »Lady Mountrachet sagt, ein Zugang vom Cottage würde nicht mehr gebraucht. Wir sollen ein Loch graben und ein neues Fundament legen.«
Natürlich. Eliza hätte sich denken können, dass ihr Auftritt vor zwei Wochen ein Nachspiel haben würde. Als vor vier Jahren alles geplant und beschlossen wurde, waren die Regeln klipp und klar festgelegt worden. Mary war mit ausreichend Mitteln ausgestattet worden, um sich in Polperro ein kleines Haus zu kaufen, und Eliza war es verboten worden, vom geheimen Garten aus durch das Labyrinth zu gehen. Aber am Ende hatte sie einfach nicht widerstehen können.
Gut, dass Eliza beschlossen hatte, England zu verlassen. Wenn sie nicht mehr in ihren Garten konnte, würde sie es auf Blackhurst nicht länger ertragen. Erst recht nicht, wo Rose nicht mehr war.
Sie stieg über den Bauschutt, ging um die Grube herum und betrat den Garten. Es duftete stark nach Jasmin und Apfelblüten. Die Ranken, die von einer Mauer zur anderen reichten, bildeten ein dichtes, grünes Laubdach.
Davies würde sich hin und wieder um den Garten kümmern, aber es würde nicht dasselbe sein. Er hatte genug zu tun mit den
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