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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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gewöhnlich am Lagerfeuer. Im Baum über ihrem Lager zwitscherte der weiße Vogel aufgeregt, und die Prinzessin sprang auf, um ihm zu folgen. Als sie sich einem dichten Dornengestrüpp näherte, hörte sie das Reh leise weinen. Sie eilte zu ihm und sah, dass ein Pfeil in seiner Flanke steckte.
    »Die Hexe hat mich gefunden«, sprach das Reh. »Als ich gerade dabei war, Nüsse für den Reiseproviant zu sammeln, hat sie ihren Jägern befohlen, auf mich zu schießen. Ich bin gerannt, so schnell ich konnte, aber weiter als bis zu dieser Stelle bin ich nicht gekommen.«
    Die Prinzessin kniete sich neben das Reh, und beim Anblick von dessen Schmerzen begann sie zu weinen, und ihre in aufrichtiger Trauer vergossenen Tränen heilten die Wunden des Rehs.
    Während der darauffolgenden Tage pflegte die Prinzessin das Reh, und als es wieder bei Kräften war, setzten sie ihre Wanderung durch den unermesslich tiefen Wald fort. Als sie endlich den Waldrand erreichten und ins Freie traten, lag vor ihnen die Küste und dahinter das glitzernde Meer. »Nicht weit von hier im Norden«, sprach der Vogel, »steht der Brunnen der verloren gegangenen Dinge.«
    Der Tag neigte sich dem Ende zu, und es wurde allmählich dunkel, aber die Kieselsteine am Strand glitzerten silbern im Mondlicht und leuchteten ihnen den Weg. Sie gingen in Richtung Norden, bis sie auf einem zerfurchten schwarzen Felsbrocken den Brunnen der verloren gegangenen Dinge erblickten. Der weiße Vogel, der seine Pflicht erfüllt hatte, verabschiedete sich von ihnen und flog davon.
    Als die Prinzessin und das Reh bei dem Brunnen ankamen, tätschelte die Prinzessin ihrem edelmütigen Gefährten den Hals. »Du kannst nicht mit mir in den Brunnen hinuntersteigen, mein liebes Reh«, sagte sie, »denn das muss ich allein tun.« Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, sprang in den Brunnen und fiel tief hinab bis auf den Grund.

    Bald darauf erwachte die Prinzessin aus einem unruhigen Schlaf und wanderte über ein Feld, auf dem die Sonne das Gras schimmern und die Bäume singen ließ.
    Plötzlich erschien ihr eine schöne Fee mit langem, lockigem Haar so fein wie Gold. Als die Fee ihr ein strahlendes Lächeln schenkte, empfand die Prinzessin tiefen Frieden.
    »Du hast eine weite Reise zurückgelegt, müde Wanderin«, sprach die Fee.
    »Ich bin gekommen, um einer lieben Freundin ihre Augen wiederzubringen. Hast du die Augäpfel gesehen, die ich meine, schöne Fee?«
    Wortlos öffnete die Fee ihre Hand, und darin lagen zwei Augen, die schönen Augen eines jungen Mädchens, das nichts Böses auf der Welt gesehen hatte.
    »Du kannst sie mitnehmen«, sprach die Fee, »aber dein altes Weiblein kann sie nicht mehr gebrauchen.«
    Ehe die Prinzessin fragen konnte, was die Fee damit meinte, schlug sie die Augen auf und entdeckte, dass sie oben am Brunnenrand neben ihrem lieben Reh lag. In ihren Händen hielt sie ein kleines Päckchen, in dem sich die Augen des alten Weibleins befanden.
    Drei Monate dauerte die Wanderung durch das Land der verloren gegangenen Dinge und die Fahrt über das tiefe, blaue Meer bis in das Heimatland der Prinzessin. Als die Prinzessin und das Reh sich dem Häuschen des alten Weibleins näherten, das am Rand des dunklen, vertrauten Waldes stand, hielt ein Jäger sie an und bestätigte die Weissagung der Fee. Während die Prinzessin durch das Land der verloren gegangenen Dinge gewandert war, war das alte Weiblein friedlich entschlafen und in die nächste Welt hinübergegangen.
    Als sie diese Nachricht hörte, begann die Prinzessin zu weinen, denn ihre lange Reise war vergeblich gewesen. Doch das Reh, das nicht nur gut, sondern auch weise war, bat sie, mit dem Weinen
aufzuhören. »Es ist nicht wichtig, denn sie brauchte ihre Augen nicht, um zu wissen, wer sie war. Durch deine Liebe hat sie es erfahren.«
    Vor Dankbarkeit über die Güte des Rehs streichelte die Prinzessin ihm den Hals. In dem Augenblick verwandelte sich das Reh in einen schönen jungen Prinzen, sein goldenes Halsband wurde zu einer Krone, und er erzählte der Prinzessin, dass eine böse Hexe ihn verzaubert und dazu verdammt hatte, als Reh zu leben, bis eine schöne Jungfrau ihn so sehr lieben würde, dass sie über sein Schicksal weinte.
    Der Prinz und die Prinzessin heirateten und lebten glücklich und zufrieden in dem Häuschen des alten Weibleins, dessen Augen in einem Glas auf dem Kaminsims über ihr Glück wachten.

13 London England, 1975
    Er war die Karikatur eines Mannes. Zerbrechlich und

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