Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
die Regenschleier konnte ich viel von der Stadt sehen, als wir in den Hafen glitten. Meine Erinnerung an die Glocken wurde wieder lebendig – Bojen, andere Schiffe, warnendes Läuten von den Felsen, Begrüßungsgeläute von den Kais.
Alles, was fehlte, war das Scheppern von Ausdauers Glocke. Der Ochse war nun so fern, verdrängt aus meinen Träumen, zusammen mit allem anderen aus jenen Tagen, seit ich zurückgekehrt war und das Elend gesehen hatte, in dem mein Papa lebte. Die Hafenglocken erinnerten mich daran, wie sehr ich das damals vermisst hatte, als mich Federo vor fast dreizehn Jahren über das Meer hierher brachte.
Ich fand keine Tränen mehr, aber der Regen nässte meine Wangen genauso.
Copper Downs erstreckte sich vor mir. Metalldächer glänzten im Regen. Masten ragten an den Kais empor, doch nicht halb so viele wie an der Avenue der Schiffe in Kalimpura. Viele Anlegestellen waren zudem leer. Einige der Lagerhäuser waren abgebrannt und nicht wieder errichtet worden, doch der Geschäftigkeit an den Kais nach zu schließen, waren die Kämpfe längst beigelegt worden.
Waren wirklich zwei Jahre vergangen?, dachte ich unwillkürlich.
Die Tanzmistress stieß wieder zu mir, als sich die Lichtläufer zum Anlegen bereit machte.
»Srini gab mir eine Rechnung für unsere Überfahrt.« Sie reichte mir zwei zusammengefaltete Papierblätter, die ich in mein Kostüm steckte. »Ich habe eine Nachricht geschrieben, in der ich um Begleichung bitte.«
Das Anlaufen eines neuen Hafens war eine der geschäftigsten Zeiten für einen Zahlmeister. Dass Srini sich für sie Zeit genommen hatte, war erfreulich. Nun, erfreulich und vermutlich auf Befehl des Kapitäns. »Wohin muss ich damit gehen?«
»Die Stadtkasse ist im Herzogspalast – dem einzigen Ort mit Stahlkammern, die nicht von Bediensteten irgendwelcher Kaufleute oder hoher Familien verwaltet werden.« Ihre Stimme bekam einen besorgten Klang. »Wird das ein Problem für dich sein?«
Ich unterdrückte den Ansturm von Erinnerungen. »Der Palast ist ein Ort wie jeder andere.« Das stimmte nicht, aber ich musste es sagen.
Rasch fuhr sie fort: »Geh zum Eingang in der Spindelstraße und frage dort nach Citrak oder Brine. Sie kennen meine Handschrift und Unterschrift.«
»Welche Sicherheit werden sie von mir verlangen?«
»Mein Brief müsste genügen. Wenn sie dich fragen, dann sagst du, dein Name ist Brecher.«
Glocken läuteten am Heck. Der Kessel unter Deck kreischte, als die Lichtläufer langsam auf die Anlegestelle zuglitt. Seeleute und Passagiere drängten sich an der Reling. Copper Downs hätte ebenso gut der Heimathafen des Schiffes sein können. Hafenarbeiter und Schaulustige standen dicht gedrängt – für nördliche Verhältnisse zumindest –, während Händler, Dirnen und Vertreter anderer Hafengewerbe dicht dahinter mit ihren bunten Tüchern und hellen Zetteln warteten.
Nachdem wir an den Pollern festgemacht hatten, wurde ein Laufbrett ans Ufer gelegt. Srini und zwei kräftige Helfer überwachten dort, wer oder was vom oder aufs Schiff gelangte. So wie ich es verstand, würden sie erst die Passagiere abfertigen und wenn sich die Menge aufgelöst hatte die Landurlauber der Mannschaft von Bord lassen. Danach würden sich die Hafenkräne um die Ladung kümmern. Die Lichtläufer mochte bereits morgen wieder auf dem Weg sein.
Ich hatte einige Stunden, um das Geld zu holen. Während ich meinen Weg über das volle Deck bahnte, nickte ich Srini zu. Er nickte zurück. Dann setzte ich den Fuß wieder in die Stadt meiner langen Gefangenschaft.
Vielleicht erwartete ich, dass sich der Himmel auftat oder dass die Liliengöttin sprach oder dass Geister aus den Steinen hervorkamen. Die Wahrheit ist, drei Schritte nach Verlassen der Laufplanke war ich dieselbe Frau, die ich drei Schritte zuvor gewesen war. In der Menge konnte ich mich nach dem Aufenthalt in Kalimpura leicht bewegen, und das arrogant bedrohliche Auftreten fiel mir bald nicht schwer. Alles, was meinem Kostüm noch fehlte, um den abschreckenden Eindruck noch zu unterstreichen, war eine Waffe.
Ich war Green. Ich war wieder in Copper Downs. Bis jetzt hatte es noch niemand bemerkt.
Die Spindelstraße war nicht schwer zu finden. Sie führte weg vom Hafen durch mehrere Viertel.
Die Menschen bewegen sich hier so verstohlen, wie mir das in vergangenen Jahren nicht aufgefallen war. Auf unseren nächtlichen Ausflügen aus dem Granatapfelhof hatte ich lachende, trinkende Menschen kennengelernt, die ihren
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