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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Geschäften in der Nacht nachgingen. Aus Federos Dachbodenversteck hatte ich eine Stadt der emsigen Händler und Arbeiter beobachtet. Ich hatte keine Verzweiflung gesehen. Die Menschen drehten sich nicht häufig um oder fürchteten, was um die nächste Ecke lauerte.
    Hier und jetzt taten sie es. Die einzigen mit Selbstvertrauen und Zuversicht waren die bewaffneten Wachen und die wenigen, die von ihnen beschützt wurden. Die gewöhnlichen Leute, die Bäckerjungen, Mütter mit ihren Kindern, die Angestellten, Kutscher und Kuriere, sie schienen alle Furcht zu haben.
    Wovor?, begann ich mich zu fragen. Der Volksaufruhr lag schon ein paar Jahre zurück. Die Tanzmistress hatte nichts von Überfällen auf den Straßen erwähnt.
    Ich hatte noch ein wenig Schwierigkeiten mit der Orientierung, aber ich wusste, dass der Tempelbezirk zu meiner Rechten lag und der Hafenmarkt hinter mir, nicht weit östlich von den Steinbruchdocks. Die alte Mauer ragte in einiger Entfernung zu meiner Linken empor. Dahinter lag ein Viertel von stillen Straßen und Eisentoren, in dem das Haus des Faktors stand. Das war der eine Ort, dessen Zerstörung durch die Aufstände ich nicht nachgeweint hätte.
    Ich schritt über eine niedrige Erhebung, wo die Spindelstraße in leicht nordwestliche Richtung schwenkte. Der Herzogspalast vor mir ragte sechs Stockwerke in den Himmel. Er war nicht so sehr ein Schloss oder eine Festung als vielmehr ein unglaublich groß geratenes Herrenhaus. Soweit ich mich erinnerte, gab es keine Mauer, sondern nur einen Garten, in dem jetzt im kühlen Klima der Steinküste Blumen das Regiment übernommen hatten. Ein Holztor neuerer Konstruktion stand offen, wo die Spindelstraße in die Höhenstraße mündete, welche am Palastgarten entlang verlief.
    Hier war die Stadtkasse des Übergangsrates.
    Als ich näher kam, verlangsamte ich meinen Schritt. Ich hatte an dieser Stelle nach dem Sturz des Herzogs den Palast verlassen. Konnte ich das Fenster in der Marinegalerie wiederfinden, durch das ich ins Freie gelangt war? Von dort konnte ich sogar meine Schritte zurückverfolgen. Ich fragte mich, wer sich außer Citrak und Brine noch drinnen befand und wie viele für ihren Schutz sorgten.
    Stattdessen marschierte ich durch das Holztor und auf einem lehmigen Weg zu einer Tür, die einst dem Palast als dekorativer Eingang in den Garten gedient hatte. Dort stieß ich auf einen jungen Mann in schlecht gegerbter Lederrüstung, der an einem Stück Schilfrohr kaute. Er schien im Gegensatz zum verängstigten Rest der Stadt eher unbekümmert zu sein.
    »Ich suche Citrak oder Brine«, sagte ich ihm.
    »Mikie ist zu seiner Mutter und holt was zum Futtern.« Die Augen des jungen Mannes waren haselnussbraun. Er war so blass wie ein Fettbauch, so wie alle seine Landsleute. In ein paar Tagen würde mir das ganz normal vorkommen, aber so weit war ich noch nicht. »Brine ist drüben in der Ratskammer bei einer Anhörung.«
    »Ich brauche dringend Geld.«
    »Wer nicht, Junge, wer nicht.«
    Ich beugte mich näher. »Die Tanzmistress ist über das Sturmmeer zurückgekehrt und muss ihre Passage auf der Lichtläufer bezahlen.«
    »Wer?«
    Statt weiterer Worte zeigte ich ihm Srinis Rechnung und den Brief der Tanzmistress. Seine Lippen bewegten sich, als er mit einem schmutzigen Finger die Worte entlangfuhr und nach zwei Zeilen abbrach. Er sah mich an. »Du musst zu Citrak oder Brine damit, Junge.«
    Darauf gab es nichts zu sagen, so warteten wir gemeinsam schweigend, dass Citrak von seiner Mutter zurückkehrte.
    Als der Mann schließlich kam, war er ungehalten, mich hier zu sehen. Er war über die Wache ungehalten, weil sie mich zum Warten aufgefordert hatte. Er war ungehalten über die Geldzähler drinnen, weil sie nicht weitergemacht hatten.
    Mir wurde bald klar, dass Michael Citrak über alles und jedes ungehalten war. Auch in der Kleidung war er eigen. Er trug ein weinrotes, knitterfrei gebügeltes Batisthemd über hellgrauen Wollhosen, die sich an den Knöcheln verjüngten und von makelloser Sauberkeit waren.
    »Mit so viel Geld solltest du nicht unterwegs sein«, erklärte er mir. »Ich weiß, dass sie gut dafür ist. Wenn du es verlierst, kostet es dich den Kopf. Und wahrscheinlich mich den meinen dazu. Eine solche Summe einem ausländischen Burschen anzuvertrauen, also ich weiß nicht.«
    »Ich werde es nicht verlieren«, versicherte ich großspurig.
    Er reichte mir einen kleinen samtenen Geldbeutel, der mit einem versilberten Faden und mit einem

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