Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Straße.
»Du willst den Rat noch nicht aufsuchen«, sagte die Tanzmistress schließlich. »Wir sind fast unbemerkt hier angekommen. Was möchtest du stattdessen tun?«
Darüber hatte ich bereits an Bord der Lichtläufer nachgedacht. Durch unbekannte Straßen zu wandern erschien mir nicht viel versprechend, um etwas Wesentliches zu erfahren. Die leeren Hallen des Herzogspalasts waren sicherlich verlockend, aber ich hatte mich bereits dagegen entschieden.
»Statten wir doch dem Granatapfelhof einen Besuch ab«, schlug ich vor. »Steigen wir auf das Haus des Faktors und werfen einen Blick über die Stadt. Wenn wir nichts Aufregendes sehen, verschwinden wir nach unten. Du hast mir immer wieder gesagt, dass der Untergrund der träumende Geist der Stadt ist. Lass uns herausfinden, was Copper Downs in seinem Schlummer denkt.«
Zwei Jahre auf den Straßen Kalimpuras hatten mich gelehrt, einer Stadt und ihren Bewohnern Geheimnisse zu entreißen.
»Wir müssen erst Chowdry unterbringen«, erwiderte die Tanzmistress. »Ich kenne eine Taverne, wo er in der Küche arbeiten und morgens unter den Tischen schlafen kann und außer Gefahr ist.«
In Seliu sagte ich zu ihm: »Wir bleiben jetzt an Land. Wirst du eine Weile in einer Taverne kochen und dich versteckt halten?«
»J …Ja«, sagte er bedrückt. »Ich wusste nicht, dass wir so weit reisen. Ich werde nie mehr nach Hause kommen.«
Ich klopfte ihm auf die Schulter. Sein Kummer war wie ein Echo meiner eigenen Verzweiflung. »Wir bringen dich jetzt dorthin und kommen in ein paar Tagen wieder, wenn wir eine bessere Möglichkeit sehen.« Ich blickte zur Tanzmistress.
»Ist das eine friedliche Taverne, oder treiben sich dort Schläger und Raufbolde herum?«
»Oh, sehr friedlich«, sagte sie. »Wir gehen am besten beide hin, sodass du dem Inhaber alles erklären kannst. Dann machen wir uns zusammen auf den Weg.«
Der Inhaber der Gaststätte war ein Angehöriger ihres Volkes und die Taverne in der Hauptsache auch für ihr Volk. Es gab kein Schild draußen. Sie lag in einer ruhigen Gasse in der Nähe mehrerer Brauereien. Chowdry wurde ohne großes Aufhebens aufgenommen. Ich begegnete dem ersten Mann des Volkes der Tanzmistress in meinem Leben.
Er führte die Kneipe, doch hier sah alles etwas anders aus als in den Kneipen anderswo in der Stadt. Auf den geräumig verteilten Tischen standen tiefe Steinschalen mit duftendem Wasser. Es wirkte einladend. Wie ein Zuhause, das ich nie gekannt hatte.
Der Gastwirt, dessen Name nie genannt wurde, war größer als die Tanzmistress. Seine Schultern waren nicht breiter als ihre, doch seine Arme und Beine waren länger, seine Hände und Füße größer.
»Du bist sie.« Er musterte mich. Meine Verkleidung verfehlte hier ihren Zweck. Außerdem war ich ziemlich sicher, dass diese Leute fast ebenso viel mit ihren Nasen wahrnahmen wie mit ihren Augen.
»Ich bin, wer ich bin. Ich bin auch für diesen Seemann verantwortlich, der sehr weit von zu Hause fort ist. Er glaubt, er könnte vielleicht schon im Reich der Toten sein.«
Wir brachten den einstigen selistanischen Piraten nach kurzem Feilschen in einem sehr ruhigen Haus unter. Ich unterrichtete ihn in seinen Pflichten in seiner Sprache und versicherte mich, dass er und der Gastwirt sich wiedererkennen würden – auch am Geruch –, dann standen wir wieder draußen im Regen. Dieser hatte sich von den anfänglichen Nieselschleiern zu einem kräftigen Platzregen, einem kalten Verwandten des kalimpurischen Monsunregens, weiterentwickelt.
Die Straßen waren vom Regen leer gefegt. Das war ein weiterer Unterschied: In Kalimpura änderte das Wetter nichts an den vollen Straßen, außer wenn ein lebensbedrohlicher Taifun bevorstand. Hier schritten wir durch die Straßen, als wären wir allein in der Stadt.
Wir kamen nah an den Überresten der alten Mauer mit ihren seltsamen Holzaufbauten vorüber, gelangten dann in ein Viertel breiterer Straßen, die weniger belebt wirkten. Es war ein wohlhabendes Viertel. Schließlich erreichten wir eine Straße mit einem vertrauten Block von Stadthäusern. Eine Blausteinmauer ragte jenseits hoch. Ich blieb stehen und blickte nach oben.
»Ich glaube, wir können jetzt das Tor benutzen«, sagte die Tanzmistress.
»Schon möglich. Aber irgendwie erscheint mir das unpassend.« Ich lief zum Ablaufrohr am anderen Ende des Blocks und kletterte hoch, so wie damals auf unseren Nachtausflügen vor so langer Zeit. Sie war ein halbes Dutzend Herzschläge hinter
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