Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
mir.
Von dem breiten Wehrgang auf der Außenmauer blickte ich in den Nachbarhof des Granatapfelhofs hinab. Der Baum, der dort gestanden hatte – ich erinnerte mich nicht mehr, was für einer es gewesen war –, stand nicht mehr. Selbst der Wurzelstock war herausgerissen worden. Unkraut wuchs auf einem Haufen aus Erde und Steinen, wo er einst gestanden hatte. Kupfer war von dem Dach unter mir abgetragen worden. Die Balken ragten schief und morsch in die Luft.
Etwas in mir brach zusammen. »Sieht verlassen aus«, flüsterte ich.
»Das ist der Grund, weshalb wir durch das Tor hätten gehen können.«
»Aber …« Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Gefangene Mädchen. Perfidität. Banditen in den Aufenthaltsräumen meiner Kindheit. Es war fast so schlimm wie der Anblick Papas in seiner Hütte und der sterbende Ausdauer im Schlamm dahinter, während diese verzweifelte Frau Shar in mir einen Dieb sah, der ihr ihre winzige, winzige Zukunft wegnehmen wollte.
Ich hatte hier Kochen und Tanzen und die alten Geschichten gelernt. Diese Woge von Bedauern überraschte mich.
Voll Furcht folgte ich dem Wehrgang zum Granatapfelhof. Es fiel mir schwer. Lieber wäre ich in sicherer Entfernung geblieben, abgeschirmt von allem, was hier geschehen war. Du hast eine kalt werdende Leiche zurückgelassen, als du verschwunden bist, dachte ich. Was erwartest du jetzt?
Mein Zuhause hatte gebrannt. Mein Baum lag verrottend auf dem Boden. Die Pferdekiste stand noch weitgehend unbeschädigt. Offenbar war sie vom Feuer verschont worden. Das Gebäude unter mir war vollkommen zerstört. Wenigstens lagen keine Leichen im Hof.
Die Tanzmistress drückte mich an ihre Schulter. Ich war die Geißel dieser Stadt. Ich war als Kämpferin gekommen, um Unrecht gutzumachen – nicht, um über eine verhasste Jugend Tränen zu vergießen, der ich in jeder Minute meines Hierseins zu entkommen versucht hatte.
»W … Was ist passiert?«
Sie umarmte mich und hielt mich dann auf Armlänge. »Seine Männer meuterten«, erzählte sie ruhig. »An dem Tag, als du zum Herzog gegangen bist. Als der magische Bann gebrochen war und die Nachricht sich über die Stadt verbreitete, töteten die Wachen die ansässigen Mistresses. Sie vergewaltigten die älteren Mädchen zu Tode. Ihrer Schönheit wegen vermutlich. Ein paar der jüngeren Mädchen entkamen. Eine Hand voll der nur zum Unterricht kommenden Mistresses gerieten ebenfalls in ihre Hände. Ich glaube, Mistress Danae war die Einzige, die es überlebte.«
Ich sank würgend auf die Knie wie damals, als ich Mistress Tirelle getötet hatte. Oh, Göttin. Ich wollte doch nur meinen Weg in die Freiheit finden und nicht den Tod über ein Haus voller Frauen bringen. Die Mädchen waren unschuldig, wie ich es gewesen war. Selbst die Mistresses …
Göttin, sei ihren Seelen gnädig, wenn es noch nicht zu spät ist, betete ich. Diese Menschen folgen nicht dem Rad, wie sie es bei Dir im Süden tun, aber es muss doch einen Trost für sie geben.
Der Regen fiel wie eine Segnung auf mich herab. Das Haar klebte mir am Kopf. Ich hatte das Gefühl, die Hand der Göttin auf mir zu spüren. Ich lauschte eine lange Zeit auf ein Zeichen, dass sie meinem Herzen den Weg zeigen würde. Sie sagte mir nichts, was ich hören wollte, doch dieses Schweigen verriet mehr, als Worte vermocht hätten.
»Es ist meine Schuld«, brachte ich schließlich hervor und wischte mir die bittere Galle von den Lippen. Mein Herz wollte zerspringen. »Ich habe das angerichtet.«
Die Tanzmistress kniete vor mir. »Green. Wir wissen jetzt, dass der Herzog in Gestalt des Faktors die Ursache dieses Wahnsinns ist. Er setzte Männer ein, um die Mädchen zu bewachen, als wären sie legendäre Schätze, und er behandelte die Wachen mit aller Härte. Mit dem Ende seiner Macht waren die Mädchen verloren. Wenn jemand anderer den Herzog gestürzt hätte, wäre es auch dein Ende gewesen.«
»Ich war es«, wiederholte ich unbeirrt. Ich tötete sie alle nur mit ein paar Worten.
»Sie starben.« Ihre Stimme wurde hart. »Mit dem Herzog und durch ihn. Komm jetzt, wir müssen weiter. Hier gibt es nichts mehr für dich.«
Sie hatte Recht, auch wenn meine Beine nicht wollten. Was immer ich in den Räumen des Granatapfelhofes zu finden geglaubt hatte, war von Feuer und Wetter seit jenen ersten blutigen Tagen des Aufstandes vernichtet worden. Vielleicht war das auch gut so, dachte ich. Die Geister, die ich da unten gefunden hätte, wären sehr unerfreulich gewesen.
Ich
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