Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
ruhte eine gewölbte Decke, welche einen für die Steinküste unbekannten Nachthimmel mit funkelnden Gestirnen aus Silber darstellte. Dunkle, schmale Fahnen hingen in der Düsternis herab, wie ich es auch schon im Palast gesehen hatte. Hinter den Säulenreihen links und rechts sah ich niedrige Tribünen mit Steinbänken, die mich an Bestattungsplattformen in einem Sterbehaus erinnerten. Schmale, mit Vorhängen versehene Fenster in den Seitentribünen gewährten ein wenig Licht Einlass. Wann war es draußen Tag geworden?, fragte ich mich, nicht ohne Besorgnis. Gaslampen an den Säulen brannten hell und zischend. Der Inhalt eines Beckens zwischen den Säulen zitterte wie dickflüssiges Silber. Das Allerheiligste roch nicht nach Gruft oder Grabkräutern, sondern hauptsächlich nach Essig, mit dem jemand vor kurzem den Boden sauber gemacht hatte.
Auf der anderen Seite standen weder Thron noch Altar, nur eine Gruppe von Männern in schwarzen Gewändern, deren Gesichter in Kapuzen verborgen blieben. Barhäuptige junge Anwärter – einen Moment abgelenkt fragte ich mich, ob diese auch hier so genannt wurden – schwirrten um die Priester herum, schlugen Gongs, läuteten Glocken und streuten Pulver in die Luft.
Noch mehr Mummenschanz von der Art, über die ich mich so ärgerte. Ich überprüfte den Sitz meines Schleiers und folgte Septio zu seinen Mitpriestern.
Einer blickte auf, als wir uns näherten. Er hob eine Hand. Die Anwärter verhielten mitten im Schritt. Nur ihre Gongs hallten nach. Die anderen Priester wandten sich uns zu.
Sie alle trugen Masken aus geflochtenen dünnen Lederstreifen, die ihre Gesichter mit waagerechten Wülsten bedeckten. Wiederum Mummenschanz, aber ich musste die Theatermaskerade bewundern. Aus jeder Entfernung sahen die Roben aus, als wären nicht mehr als Schatten in ihnen.
Wir huldigten der Liliengöttin barhäuptig und mit unbedecktem Gesicht, doch vielleicht hatten diese Männer das Bedürfnis, sich vor ihrem Gott zu verbergen. Ich wusste, dass ich es tun würde, wenn Schwarzblut mein Gott wäre.
Septio trat in den Kreis. Er verbeugte sich, was die Priester mit einem höflichen Nicken erwiderten. Ich senkte mein Gesicht, was keinerlei höfliche Erwiderung auslöste.
Ein kleineres Silberbecken befand sich im Boden zu ihren Füßen. Auch dieses zitterte wie das große in der Hallenmitte. Doch während jenes nur eine blanke Oberfläche besessen hatte, zeigte dieses ein Bild.
Die göttliche Magie, die ich erwartet hatte. Ich blickte in das Becken.
Hautlos stand vor einer wirbelnden weißen Staubwolke auf einem gepflasterten Boden. Die Tanzmistress lag zusammengerollt zu seinen Füßen. Als ich sie betrachtete, erkannte ich, dass sie nicht auf Steinen, sondern auf Fliesen lag. Hautlos war sehr groß.
Der Avatar wirkte zögernd, fast angstvoll.
Ich blickte genauer auf den Staub. Der Grobkörnigkeit nach mochte es Sand sein. »Was ist das?«, fragte ich leise. »Salz?«
Septio räusperte sich leise. »Ja.«
»Warum fürchtet der Avatar eines Peingottes Schmerzen? Vor allem, wenn seine eigenen Priester sie auf sich nehmen?«
»Schmerzen sind eben Schmerzen.« Septio blickte die Priester an und sagte etwas, das ich nicht verstand. Es war ihre Tempelsprache, nahm ich an.
Der eine, der unsere Ankunft zuerst zur Kenntnis genommen hatte, nickte. Septio sprach wieder Petraeanisch. »Ich muss jetzt den Avatar zur Gottheit bringen. Der Pater Primus wird für die Freigabe deiner Lehrerin beten. Ein anderes Opfer wird an ihrer Stelle dargebracht. Das sollte genügen.«
»Sollte genügen?«
Sein Blick begegnete meinem mit einer Spur Belustigung. »Wann ist das, was Götter tun, je berechenbar?«
Septio verschwand aus dem Kreis in die Düsternis der Halle. Ich blieb bei den Priestern, die mich weiterhin ignorierten. Wir beobachteten alle das Becken. Schließlich fiel der Salzwirbel in sich zusammen. Ohne sich umzudrehen, griff der Avatar nach hinten und packte die Tanzmistress am Knöchel. Er zog sie durch die weißen Kristalle zu einer eisernen Tür. An diese schlug er dreimal mit der Faust.
Überrascht vernahm ich das Echo des Pochens aus der Richtung, in die Septio verschwunden war. Keinen der Priester schien das zu beunruhigen, deshalb schwieg ich.
Die Tür öffnete sich mit einem schrecklichen Kreischen. Aber wer würde schon die Angeln einer Tür ölen, die solch ein Ungeheuer ausschloss?
Im Becken war zu sehen, dass sich Septio Hautlos in den Weg stellte. Sein Gesicht war auch mit
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