Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Ich hätte sie aber am liebsten schon an diesem ersten Tag aus purer Wut erschlagen. Es dauerte Jahre, bis aus der angstvollen Wut des Kindes ein angemessener und wohlverdienter Hass entstanden war.
Wie auch immer; ich hatte keine bissigen Antworten für sie. Federo war zu offen zu mir gewesen, als dass ich zu streiten gelernt hätte, und sicherlich war ich damals auch zu jung für eine spitze Zunge. Ich stand still, während sie immer wieder um mich herumging. Ihr Atem erinnerte mich an den Dampfkessel tief im Bauch der Schicksalsvogel . Schweiß glänzte auf ihrer Stirn wie Regen auf einem Mühlstein.
Wir befanden uns noch immer auf der Stelle im Hof, wo Federo mich abgesetzt hatte. Ich sah niemanden sonst. Die mögliche Anwesenheit versteckter Zuschauer würde mir noch eine ganze Weile nicht in den Sinn kommen und erwies sich innerhalb dieser kalten hohen Mauern des Faktors auch als gegenstandslos. Ich hatte nur Augen für den verblühenden Granatapfelbaum, der immer kurz meinem Blick entschwand, wenn sie vorbeischritt.
Ich erschrak, als Mistress Tirelle eine schimmernde Klinge aus den Tiefen ihres Gewandes hervorzog. Darauf hatte sie gewartet und versetzte mir wieder einen Schlag. »Bald werde ich nicht mehr in der Lage sein, Spuren auf dir zu hinterlassen, Mädchen, aber heute bestrafe ich dich nach meinem Gutdünken. Auch später werden sich Wege finden. Du. Hältst. Vollkommen. Still.«
Die Entenfrau blieb hinter mir stehen. Ich zitterte und fragte mich, was sie mit der Klinge vorhatte. Es konnte doch nicht sein, dass mich Federo über das Meer hierher geschleppt hatte, nur um mich hier wie eine Opferziege aufschlitzen zu lassen. Die linke Schulter meines Kleides fiel nach einem leisen Ratschen nach unten. Das Geräusch wiederholte sich, und meine rechte Schulter war fort und mit ihr das ganze Kleid.
Das war meine erste Begegnung mit einer Schere, und sie erschreckte mich. Auch nackt in diesem schwachen Sonnenlicht und der kalten Luft zu stehen war ungewohnt. Wie es auch Federo getan hatte, begann Mistress Tirelle meinen Rücken abzutasten, dann meine Schultern, meine Hüften. Während sie mich stieß und drückte, gab sie mir knappe Befehle.
»Halte deinen rechten Arm ausgestreckt und behalte ihn oben.«
»Zeig mir deine Zähne. Alle, Mädchen.«
»Bück dich und berühre den Boden. Mit den ganzen Handflächen.«
Die Untersuchung war nicht schmerzhaft, aber gründlich. Schließlich stand sie wieder vor mir. »Ich nehme nicht an, dass der junge Stutzer deine Verdauung kontrolliert hat.«
»Er hat …«, begann ich, aber ein Schlag ließ mich innehalten.
»Wenn ich möchte, dass du antwortest, dann rede ich dich mit Mädchen an, Mädchen.«
Da wurde mir klar, dass dieses Wort mein Name werden würde. In meiner eigenen Sprache stieß ich hervor: »Ich habe einen …«
Dieses Mal ließ der Schlag meine Ohren klingen. »Du wirst jedes Mal zehn Minuten mit warmer Asche im Mund dastehen, wenn ich nur ein einziges Wort dieser schmutzigen Hundesprache von dir höre, Mädchen.«
Ich nickte mit bitteren Tränen in den Augen.
Worte, immer waren es Worte. Federo hatte meinem Vater mit Worten seinen Willen aufgezwungen, noch bevor der Beutel den Besitzer wechselte, mit dem er mich kaufte. Diese nordländischen Menschen hörten nicht auf, mich mit Worten zu verändern.
Eines Tages würden ihre Worte die meinen sein.
Mistress Tirelle zerrte mich unter den Balkon und hieß mich, vor einer Säule stehen zu bleiben. Einen Augenblick später kam sie mit einer vollen Aschelade zurück. Ich löffelte würgend Asche in meinen Mund, aber ich war entschlossen, ihr keinen weiteren Grund zu geben, mich zu schlagen. Es schien ihr große Freude zu bereiten, die Hand gegen mich zu erheben. Diese Freude würde ich ihr, so gut es ging, versagen.
So stand ich nur weinend da und kämpfte gegen den würgenden Husten an. Ich hielt meinen Blick gesenkt vor ihr und mein Herz verschlossen.
Nach einer Weile stellte die Entenfrau einen leeren Eimer vor mich hin. »Spuck es aus«, sagte sie, »und ich will keinen Tropfen deines Bauernschleims auf meinem Boden sehen.« Als ich nach vielem Würgen und Husten fertig war, gab sie mir einen kleinen Krug mit lauwarmem Wasser, um den Mund auszuspülen.
Ich fragte mich, ob sie je gezwungen worden war, Asche in den Mund zu nehmen und bei jedem kleinen Wort geschlagen zu werden.
»Ich nehme an, wir verstehen uns jetzt«, verkündete Mistress Tirelle. »Wir sind hier im Granatapfelhof im
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