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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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überrascht von meiner Fertigkeit. Die Glöckchen, mit denen ich länger, als ich zurückdenken kann, beschäftigt war, hatten es mich gut gelehrt. Ich erklärte es nicht. Sie fragte nicht.
    Die Entenfrau prüfte auch flüchtig die Fähigkeiten meines Verstandes; die Dinge, die Federo angefangen hatte, mir beizubringen: Buchstabieren und Rechnen. Ich achtete darauf, nicht mehr Verstand zu offenbaren, als die Antworten auf ihre Fragen erforderten.
    Auch wenn sie über jede kleine Sache nörgelte und schimpfte und ihre Hand locker saß, sah ich doch mit stiller Befriedigung, wie wenig ich ihr zu beanstanden gab. Abgesehen von meiner inneren Einstellung natürlich, die sie mir entweder mit Schlägen auszutreiben oder aus mir herauszuschulmeistern versuchte.
    Ich senkte meinen Kopf nie tief genug oder antwortete nicht rasch genug oder blieb nicht still genug für sie. Mistress Tirelle hatte ihr Leben mit Anwärterinnen verbracht. Sie konnte die Haltung eines Mädchens deuten. Zum Schweigen verurteilt blieb mir in diesen frühen Tagen als einzige Waffe vollkommener Gehorsam in Verbindung mit einer mürrischen Unverschämtheit. Wir beide wussten das und hassten einander dafür.
    So begannen die Jahre meiner Erziehung.
    »Als Erstes lernen wir zu kochen«, sagte sie eines Tages. Ich war noch keine zwei Wochen hier und führte bereits eine geheime Liste für den Tag, an dem ich einen Weg finden würde, meine Seide und meine Glöckchen wieder in mein Leben zu holen.
    Ich nickte. Es war keine Frage an mich gerichtet und keine Erlaubnis zum Sprechen erteilt worden.
    »Alles Leben stammt aus dem Wasser«, fuhr Mistress Tirelle fort. »Wasser ist in uns allen. Du spuckst Wasser aus dem Mund oder lässt Wasser aus deiner Scheide fließen. Daher kochen wir mit Wasser, um zu ehren, wer wir sind, und unser Essen anders als die Tiere zu uns zu nehmen.« Sie bedachte mich mit einem scharfen Blick. »Verstehst du das?«
    Das tat ich. Schließlich hatte auch Papa Reis gekocht. »Ja, Mistress Tirelle.«
    »Was müssen wir also tun, um Wasser zu kochen?«
    »Wir machen Feuer unter einem Topf, Ma’am.« Und hastig fügte ich hinzu: »Einem Topf voll Wasser.«
    »Hmm.«
    Sie war auf eine ausführlichere Antwort aus gewesen, aber was ich gesagt hatte, war richtig genug. Nach einem Moment fuhr Mistress Tirelle fort: »Später unterhalten wir uns über Größe und Form von Gefäßen und warum man manche Dinge so und andere Dinge so kocht.«
    Ich nickte wieder. Kochen erschien mir als ein seltsamer Ausgangspunkt für den Weg, auf den mich Federo gebracht hatte, aber wir waren dabei, genau ihn zu gehen.
    Die Entenfrau zündete ein Feuer in einem kleinen metallenen Ofen an. Als es brannte, zog sie ein Messer aus ihrem schwarzen Gewand hervor, um ein Büschel dunkelgrüner, von hellgrauen Adern durchzogener Blätter zu schneiden. Sie besaßen einen strengen, fast ein wenig unangenehmen Geruch. »Wir schneiden diese Spinatblätter, um sie gleichmäßig zu kochen.« So etwas wie der Hauch eines Lächelns zuckte über Mistress Tirelles Gesicht. »Nicht alles ist Ritual, Mädchen. Manchmal geht es nur um so etwas Einfaches wie den täglichen Hunger.«
    Ich vergaß mich und antwortete ihr. »Hunger ist nicht einfach, Ma’am.«
    Sie schlug mich mit dem Messergriff, und ich hatte viele Tage lang eine Schwellung auf der Stirn.
    »Gehorsam ist einfach«, sagte die Entenfrau, über mich gebeugt, als ich schluchzend auf dem Boden kauerte. »Er ist auch die größte Alltagstugend, die eine Frau besitzen kann. Vor allem du.«
    Wir kochten. Wir wuschen. Wir kehrten. Wir nähten. Eine lange Zeit gab es niemanden außer Mistress Tirelle und mich. Essen wurde ans Tor gebracht und dort von unbekannten Leuten entgegengenommen. Ich trug es dann unter der Aufsicht der Entenfrau in die obere Küche. Abfälle und Nachttöpfe wurden auf der anderen Seite des Hofes in einen Abfluss entleert.
    Ich fand heraus, dass es noch weitere Höfe gab. Wenn ich auf der tiefsten Stelle der Veranda stand, konnte ich zwei weitere Baumwipfel sehen. Gelegentlich vernahm ich eine für kurze Zeit lauter werdende Stimme. Ich wusste, dass es irgendwo in diesen Gebäuden Wachen und Diener geben musste, aber Federo hatte die Wahrheit gesprochen, als er mir sagte, dass hier meine ganze Welt sein würde. Ich hatte nur die Gesellschaft von Frauen, und von diesen auch nur die von Mistress Tirelle.
    Die Sonne bewegte sich ein wenig nach Süden auf ihrem Weg über das Stück Himmel, das ich sehen

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