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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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die Arme laufen«, sagte Septio.
    Ich starrte auf mein Pferd und verspürte keine Lust, aufzusitzen, verspürte aber ebenso wenig Lust, den Rest meiner Tage hier am Ufer des Flusses zu verbringen. »Was für Flüchtlinge? Copper Downs wird nicht gerade von Verzweifelten überrannt.«
    »Wenn Choybalsan in der Tat den Tempel der Luft zerstört hat, werden Scharen von Bauern und Dienern unterwegs sein.«
    »Außer er hat sie mit Tee und Kuchen geködert und seiner Armee einverleibt.« So viele Gerüchte, so wenig Wahrheit. Das war eine Invasion von Staub und Schatten.
    »Ich denke immer noch, wir sind besser dran, wenn wir den Tempel suchen und seiner Spur folgen, statt gegen die Flut zu schwimmen, die er vor sich hertreibt.«
    »Redekunst ist wohl kein Hauptfach in eurem Tempel, oder?« Ich grinste. Dann stemmte ich mich in den Sattel. Oder versuchte es, denn das Miststück wich gerade weit genug zur Seite, dass ich mit dem Gesicht im Dreck landete.
    Dieses Mal war ich ganz sicher, dass sie lachte.
    »Ich bringe dir einen Klotz zum Draufsteigen und halte sie am Zügel«, sagte Septio. »Du musst ihr heute zeigen, wer das Sagen hat.«
    So verlockend es auch gewesen wäre, gegen seine unerschütterliche Bevormundung aufzubegehren, solch ein Stolz war mir in meiner Lage verwehrt. Stattdessen stand ich stumm, den wütenden Blick auf das elende Tier gerichtet, während Septio die Vorbereitungen traf. Ich beschloss, wenn ich erst im Sattel saß, den ganzen Tag nicht mehr abzusteigen. Das wiederum ließ mich sofort bedauern, dass ich so viel Tee getrunken hatte.
    Nebel auf den Felsen über uns und mehrere Bergziegen hoch oben begleiteten uns auf unserem Morgenritt. Die Gegend war hübsch und die Luft frisch, aber alles war von einer solch nördlichen Schönheit, dass ich ein plötzliches Heimweh nach den heißen Feldern Selistans verspürte. Dies war die Steinküste, die ich nur aus Mistress Danaes Büchern kannte, denn ich hatte den Granatapfelhof nie für einen Ausflug in die Berglandschaft verlassen. Kleine Stiche und mäßige Poesie hatten einen Eindruck vermittelt, aber nur so, wie ein Kind sich an seine Sonnwendgeschenke erinnerte, an ausgefallene Details und meist ohne den Blick für das Wesentliche.
    Ich schwelgte in den hundert Schattierungen des Graus der Felsbrocken inmitten von kargem Gras und der mächtigen Felshänge über uns. Auf dickeren Polstern reckten spät blühende Blumen ihre Blüten blass wie Babyaugen empor. Gelegentlich wuchs ein Baum aus dem Windschutz seiner Gefährten hinaus wie ein tief gebeugter Riese, den selbst ich überragte.
    Kleine Vögel huschten über das Gras hinter den Insekten her. Wir sahen weitere Ziegen. Hin und wieder zeugten bleiche Ziegenknochen von der Herrschaft hungriger Räuber in diesem Gebiet. Als der Pfad einem dichter bewachsenen Bachlauf folgte, erklang ein anderer Vogelgesang aus dem schützenden Dickicht.
    Die Felswände zu beiden Seiten zerschnitten den Himmel in ein Band aus blauem Stoff vom Webstuhl Mutter Mondaugens. Wenn eine Seele eine Farbe hatte, stellte ich sie mir himmelblau vor. Vielleicht suchten so viele das Paradies irgendwo über den Lüften, weil wir diese Farbe instinktiv erkannten, lang bevor es Worte dafür gab.
    Das brachte mich auf eine Frage, die mich in letzter Zeit häufiger beschäftigte. »Septio.« Ich verlieh meiner Stimme einen festen, ruhigen Klang, der von einem gefährlichen Reittier zum anderen drang, ohne das ganze Tal aufzuschrecken. »Ich habe eine priesterliche Frage, die ich dir stellen möchte.«
    »Vielleicht kann ich sie beantworten«, erwiderte er vorsichtig.
    Ich wusste nicht, ob er seine lockere Zuversicht und seinen bissigen Humor in Copper Downs zurückgelassen hatte oder ob das Gespräch von letzter Nacht über die Opferungen so schwer auf ihm lastete. Ein paar gute theologische Allgemeinfragen mochten ihn auf andere Gedanken bringen.
    »Ich habe über die theogonische Ausbreitung nachgedacht«, sagte ich. »Wie Götter und Menschen in ihrer Macht voneinander abhängen.«
    »Belanglose Fragen. Ich bezweifle, dass man sich darüber schon Gedanken gemacht hat.«
    Er sagte es so ernst, dass ich es einen Moment lang glaubte. Dann wurde mir klar, dass dieser Mann seine besten Seiten nicht in der Stadt zurückgelassen hatte.
    »Dummkopf«, sagte ich liebevoll. »Ich meine es ernst.«
    Septio lachte. Der Klang machte mich froh.
    Wir ritten weiter. Mein elendes Reittier sorgte dafür, dass ich so viele Schrammen und blaue Flecken

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