Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
verkleidet.
Als Halsbrecher fühlte ich mich gut in Kalimpura. Ich begriff inzwischen, wie kindisch er war. Aber gegenwärtig war es sicherer, er zu sein, als das Mädchen Green.
Ich ergriff meinen Schleier und bewunderte, wie gut ich mich trotz meiner neuen Narben bewegen konnte. Ich drehte mich zu meiner Wohltäterin und ihrer Tochter um. »Ich verdanke euch so viel, aber jetzt in dieser Stunde ist meine Abwesenheit mein größter Dank. Ich werde talwärts nach Süden wandern und vergessen, dass ich diesen Ort je gekannt habe.«
Corinthia Anastasia kam zu mir und umklammerte meine Mitte fest. »Mach keine Dummheiten«, sagte sie ernst.
Ihre Mutter lächelte traurig. »Hör auf mein Kind.«
Mit meinem Messer und meiner kleinen hölzernen Glocke schritt ich hinaus in den sonnigen Obstgarten und talwärts. Die Stadt wartete auf mich. Choybalsan ebenso, wie auch die Liliengöttin in Ihrem fernen Tempel. Bei all meinem Umgang mit Göttern erschien es mir seltsam, dass ich meinen größten Segen durch eine einsame Frau und ihr Kind erfahren hatte.
Obwohl die Gräber von Copper Downs nicht mehr als einen Tagesritt die Gerstenstraße hinauf entfernt sein konnten, brauchte ich drei Tage, um die Strecke zurückzulegen. Ich wanderte durch die Berge im Westen, die mit jeder Meile niedriger wurden. Ich fand viele Ziegenfährten und seltsame, moosüberzogene Mauern, die hin und wieder Unterschlupf boten. Sie mochten die Überreste von Schlössern oder Landhäusern sein. Ich wusste es nicht und es interessierte mich auch nicht.
Während meines Marsches hatte ich immer wieder Ausblick auf die Straße. Im Gegensatz zu den Hinweisen, die ich erhalten hatte, war sie weitgehend menschenleer. Ich wusste nicht, welcher Verkehr hier üblicherweise stattfand. Jetzt sah ich nur gelegentliche Reiter, die es eilig hatten. Sie ritten in beide Richtungen.
Choybalsans Armee könnte man als Banditen bezeichnen, aber in Wirklichkeit handelte es sich um bewaffnete Bauernburschen und Holzfäller. In diesem Teil des Landes hatte es nie genug Leute oder Handel gegeben, dass Raubsgesindel davon hätte leben können. Das bedeutete, dass sie auch wie Bauern und Holzfäller kämpfen würden. Langsam und ohne Präzision.
Ich hatte zumindest Spähtrupps erwartet. Was machte er nur? Meine Flucht lag jetzt eine Woche zurück. Wenn sie nicht hinter der Tanzmistress her waren, sollten sie die Stadt stürmen, und das bald. Hier oben gab es nicht genug zu essen, und weiter oben in den Bergen war der Frost nicht mehr fern.
Dass ich vor ihnen da war, passte mir gut.
Dann erreichte ich einen bewaldeten Kamm und hörte die Brandung voraus.
Abseits von der Straße fand ich eine große ausladende Eiche. Ich kletterte hoch, um einen Blick nach Süden zu werfen.
Copper Downs lag vor mir. Das Meer gleißte dahinter bis zum endlosen südlichen Horizont. Choybalsans Armee lagerte im offenen Land vor der Stadt, wo die ersten Herbergen und Ställe und Hütten von mehreren Tausend Männern und Pferden überrannt worden waren. Der Blitzzaun war dunkel und still. Aber es war anzunehmen, dass die Truppe hier mit ihrem Gottkönig in ganzer Pracht aufmarschiert war.
Ich war nicht vor ihnen angekommen. Ich hatte zu lange in den Obstgärten der Toten der Erholung gefrönt.
Ich schob diesen Gedanken als sinnlos beiseite und beobachtete die Armee eine Weile, und zwar auf die Weise, wie es mich Mistress Tirelle gelehrt hatte. Und ich sah mit Augen der Geschichte und Blicken, die vom Lesen der Landkarten und dem Verständnis der Mathematik geschärft waren. Ich war keine Expertin in Aufstellung und Einsatz großer Heerscharen, aber ich verstand eine ganze Menge von Logistik. Der Granatapfelhof hatte mich zu einem Teil als eine Schlossverwalterin ausgebildet. Das unterschied sich, abgesehen von der Uniform, nicht sehr von einem Quartiermeister.
Hier sind die Dinge, die ich feststellen konnte: Sie lagerten seit wenigstens drei Tagen vor der Stadt. Ich konnte nicht glauben, dass eine ganze Armee unbemerkt in der Nacht an mir vorbeimarschiert war. Sie waren nicht in einer großen Horde gekommen, oder die Straße und ihre Umgebung hätten so stark darunter gelitten, dass ich es selbst aus der Ferne bemerkt haben würde. Sie hatten vor ihrer Ankunft nicht gekämpft. Die außerhalb liegenden Gebäude und die kleinen Dörfer, welche die Banditen überrannten, waren unversehrt. Keine Brände, keine Zerstörung. Niemand hatte sich ihnen entgegengestellt, wenigstens keine
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