Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Mistress Tirelle mich meine Fertigkeiten in größeren Frauengruppen ausüben ließ, wurden auch die Wettkämpfe häufiger. Es verging kaum ein Monat, in dem der Faktor nicht etwas von seinen Mädchen verlangte, das ihre Fertigkeiten unter Beweis stellte. Kalligraphie im klassischen Stil von den Küsten des Sonnenmeeres. Einen Tanz, den ich zu demselben Musikstück erdachte, das andere benutzten, und den ich einer Dienerin beibrachte, die ihn ihm vorführen würde. Einem Hund brachte ich in zwei Wochen einen bestimmten Trick bei.
Die Ergebnisse dieser Wettkämpfe erfuhr ich nie. Ich konnte gelegentlich an Mistress Tirelles Stimmung ablesen, wenn es Neuigkeiten gab, doch welche Neuigkeiten das waren, konnte ich nur raten.
Der Sinn der ganzen Übung war mir klar geworden. Der Faktor betrieb eine Manufaktur von Frauen in seinem Haus, von feinen Damen für die Edlen und die reichen Kaufleute von Copper Downs. Vielleicht auch für die kleineren Höfe entlang der Steinküste. Ich konnte stolz darauf sein, was ich lernte und beherrschte, aber es war dennoch Sklaverei.
Als Mistress Cherlise kam, wurde mir das wieder deutlich bewusst.
Sie kam mitten in der Nacht, wie es bisher nur die Tanzmistress getan hatte. Dann saßen wir zusammen und redeten darüber, wie meine Brüste zu schwellen beginnen und wie meine Regelblutungen einsetzen würden. Sie hatte kleine Bücher in dunklen Ledereinbänden mit Bildern von Männern und Frauen in leidenschaftlicher Vereinigung. Mistress Cherlise zeigte sie mir, bevor sie mir erklärte, wie ich wahrscheinlich in Wirklichkeit benutzt werden würde – heftig, ohne Rücksicht auf Gefühle, außer denen meines Herrn. Allzeit würde ich lächeln und bitten und betteln und die liebevolle Gespielin sein müssen.
Als sie es mir das erste Mal klarzumachen versuchte, wurde ich wütend. Ich unterdrückte meine Gefühle, doch meine Miene musste mich verraten haben.
»Was glaubst du, haben Frauen in dieser Welt zu erwarten, Mädchen?«
Ich antwortete ohne zu überlegen: »Wenigstens, eine eigene Wahl treffen zu können.«
»Du bist nicht hier geboren worden. Du kommst von weit her, ja?«
Ich nickte.
»Aus einem kleinen Dorf oder einem Bauernhof?«
»Ja.«
»Wenn du dort aufgewachsen wärst, welche Möglichkeiten hättest du dann gehabt? Eine Bäuerin zu werden, zweifellos. Mit einem Jungen vom Hof eines Nachbarn, der nicht viel mehr über die Liebe wüsste, als er beim Stier seines Vaters beobachtet hatte. Hier andererseits weißt du wenigstens, was alles möglich ist, und wie man es erreicht, wenn man die Chance erhält. Dort wären deine Wahlmöglichkeiten verschwindend gering gewesen und hätten dir wenig Glück beschert.«
Aber es wäre meine Entscheidung gewesen, dachte ich. Das war meine älteste Auseinandersetzung mit mir selbst, und eine, die ich irgendwie immer zu verlieren schien.
Sie zeigte mir viel, entkleidete ihren Körper zwanglos, sodass ich sehen konnte, wie eine Brustwarze durch eine kalte oder nasse oder eine sanfte Berührung fest wurde, wie sich die Rundung einer Brust mit den Fingern anfühlte. Ebenso ihr Kätzchen unten. Wir sprachen über Rasieren und Haare, wie das Blut im Monatsrhythmus floss, und über die verschiedenen Flüssigkeiten, die der Geschlechtsverkehr mit sich brachte. Mistress Cherlise trug mir auf, bestimmte Übungen tief im Inneren meines Körpers auszuführen.
»Die werden dich nicht vor Schlägen schützen oder vor einem Sturz bewahren, doch sie werden dir helfen, richtige Entscheidungen zu treffen und deinen Körper vor Schaden zu bewahren«, sagte sie.
Wir lagen beide nackt auf dem Bett in meiner Schlafkammer. »Wann werde ich die Übungen brauchen?«
»Bald. Sei immer bereit.«
Sie setzte sich auf, und ich half ihr in ihre Unterwäsche.
Bald? Ich war noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Wie bald konnte das sein?
Als ich hier ankam, hatte ich Mistress Tirelle kaum bis zu Taille gereicht. Jetzt konnte ich die Warze auf ihrem Kopf sehen. Fast neun Jahre hatte ich im Granatapfelhof verbracht. Ich wuchs und lernte und wurde mehr und mehr verändert. Wäre da nicht die geheime Freiheit der Nachtübungen mit der Tanzmistress, hätte ich die ganze Zeit nur die Gesellschaft von Frauen innerhalb der Blausteinmauern gehabt.
Meine Ausbildung war erschreckend ausführlich, aber sie war auch unvollständig. Ich konnte Smaragdentchen auf Sahne und Reis zubereiten und einen Makel in einem polierten Silberservice für achtundvierzig Personen auf einen
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