Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Großmutters Glocken, als sie zum letzten Mal in der heißen Sonne läuteten. Was hätte meine Großmutter gewollt, dass ich tue? Oder Papa? Was hätte er gewollt? Ausdauer, das wusste ich, wollte mich nur nach Hause rufen.
Was wollte ich?
Heimkehren.
Aber mehr noch als das, wurde mir klar, wollte ich, dass nie mehr ein Kind an diese schrecklichen Menschen verkauft wurde. Nicht an den Faktor und seine Mistresses, nicht an Federo und seine einnehmende Art. Dieser Handel mit denkender, sprechender, lebender Ware musste aufhören.
Ich vermochte nicht zu sagen, wer die größere Schuld hatte. Federo, weil er mich kaufte? Oder mein Vater, weil er mich an ihn verschacherte? Es spielte keine Rolle. Sie waren nur Spielfiguren auf einem größeren Brett. Der Herzog und sein ausführender Gehilfe, der Faktor, hatten diese Maschinerie der Schuld in Bewegung gesetzt. Mir wurde nun klar, welcher Fehler es gewesen war, aus dem Haus des Faktors zu fliehen. Dabei hätte ich nur mir selbst treu bleiben, das Feuer meines Herzens schüren und mich mit meiner Schönheit zur Wehr setzen müssen.
Diese Waffe hatte ich in einem Moment von Zerstörungswut weggeworfen, bevor ich eine Frau ermordete, deren einziges Verbrechen es war, ihrem Herrn zu dienen.
Dann kam mir ein neuer Gedanke. »Es muss noch eine andere Möglichkeit geben«, sagte ich. »Oder wir würden dieses Gespräch nicht führen. Ihr habt mir einen Vorschlag zu machen. Wir reden über einen der ›anderen Pläne‹, die ihr erwähnt habt.«
Federo und die Tanzmistress tauschten einen langen Blick. Ich sah Furcht in ihren Gesichtern, aber ich schwieg.
Er nickte und begann rasch zu sprechen, als würde er selbst nicht an seine Worte glauben.
»Lass dich fangen. Erzähle ihnen von einer Verschwörung gegen den Herzog. Erzähle ihnen von uns. Man wird dich mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Befragung zu ihm bringen, und zwar nicht nur wegen der Anklage, sondern auch, weil du sein verlorenes Juwel bist. Er wird Eifersucht empfinden. Wenn du dann bei ihm bist, kannst du …«
»Kann ich was?« Wieder lachte ich über diese Narren. »Kann ich was? Kann ich ihn töten? Ich bin ein zwölfjähriges Mädchen. Ich würde in seinem Hof vor ihm stehen. Wenn ich seine Bettgefährtin wäre, hätte ich vielleicht eine Chance. Aber inmitten all der bewaffneten Männer? Ihr seid verrückt.« In meiner eigenen Sprache fügte ich hinzu: »Ich bin nur ein Mädchen.« Mein Lachen wurde zu einem Fauchen. »Ich kann alte Frauen ermorden, aber nicht einen Mann auf einem Thron, der von Wachen umstellt ist. Das geht weit über meine Kräfte.«
Die Tanzmistress verlagerte ihr Gewicht. Ihr Blick suchte meinen und hielt ihn fest. Ich kannte sie gut genug, um zu erkennen, dass sie dabei war, ihre Worte abzuwägen.
Ich wartete stumm.
Schließlich sprach sie: »Es gibt eine andere Möglichkeit.«
»Natürlich gibt es die«, sagte ich heftig. »Du hast mir das Töten beigebracht.«
»Nein, sie hat dir beigebracht zu überleben«, wandte Federo ein. »Hör mich an, Green. Wenn du mit uns nichts mehr zu tun haben und lieber dein Glück da draußen versuchen willst, steht es dir frei. Du bist hier keine Gefangene.«
»Nein?«
»Hast du die Falltür versucht?«, fragte er. »Sie war die ganze Zeit unverschlossen.«
»Oh.«
Einen Moment lang kam ich mir wie eine Närrin vor.
»Du kannst gehen, wie es dir beliebt. Ich bitte dich nur um eines, um der Spur von Gewogenheit willen, die du hin und wieder für mich empfunden haben magst, höre dir an, was die Tanzmistress zu sagen hat. Sie vermag, schwierige Dinge zu erklären, die vielleicht unsere Zukunft betreffen könnten. Bevor du deine Entscheidung triffst, solltest du wissen, was du ablehnst.«
»Dieses Mal«, sagte ich bitter. Was er meinte, war klar genug. Im Granatapfelhof hatte ich dumm und unwissend entschieden. Obgleich ich es nicht zugeben wollte, erkannte ich jetzt die Vernunft seiner Bitte.
»Den Herzog umgibt ein Geheimnis, das nur sehr, sehr wenige kennen«, begann die Tanzmistress langsam. »Dass er nicht altert … verdankt er magischen Formeln, die meinem Volk abgerungen wurden. Es gibt auch andere Formeln, welche diese Magie beenden können – Worte, die nur wirksam sind, wenn sie ihm unter vier Augen gesagt werden. Nicht« – sie hob abwehrend ihre Hand – »in der Schlafkammer. Aber doch in seiner Nähe. Sie können nicht in der petraeanischen Sprache gesagt werden. Der Herzog hat mit seiner Magie diese wichtigen Worte
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