Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
mit einem Bann belegt, sodass sie niemand in seiner Gegenwart aussprechen kann.«
»Können sie in meiner Sprache gesagt werden?«, fragte ich.
Mit sehr unglücklicher Miene erklärte sie: »Ich weiß nicht, ob dir die Kräfte gehorchen werden. Es liegt außerhalb meines Seelenweges, Zaubersprüche und ihre Wirkung zu verstehen. Seit der Herzog seinen Thron durch die Kräfte unserer Magie an sich riss, hat unser Volk die eigene Macht wie einen alten Mantel abgelegt. Ich kann dich bestimmte Worte lehren, indem ich sie dir hier in den Staub schreibe, doch keiner von uns kann sie laut aussprechen. Wenn du sie in deiner Sprache sagst … Wer weiß, welche Wirkung sie haben werden? Ich jedenfalls nicht.«
Ungläubig fragte ich: »Vierhundert Jahre lang hat das niemand versucht?«
»Es ist nicht allgemein bekannt«, entgegnete Federo trocken. »Immerhin haben wir nun Pläne dafür geschmiedet. Wirst du uns helfen?«
Zu diesem Zeitpunkt fiel mir die Entscheidung nicht schwer. Wo sollte ich sonst hingehen? Ich konnte nicht nach Hause schwimmen. Wenn ich nein sagte und einfach durch diese Falltür verschwand, würde der Faktor weitere Kinder kaufen, und Federo und die Tanzmistress würden eine neue Rebellin in seinem Haus ausbilden, ein anderes Kind würde eines Tages meine Entscheidungen erneut treffen müssen.
Jetzt stand ich hier. Es war meine Aufgabe.
»Ich werde es tun«, sagte ich bedächtig. »Du lehrst mich die Worte. Federo wird mir mit meiner eigenen Sprache helfen müssen, denn ich weiß ganz sicher nicht genug Worte, um das übertragen zu können, was du in den Staub schreibst.« Ich wandte mich an ihn. »Bring mir ein Wörterbuch meiner Muttersprache, wenn so etwas hier in Copper Downs aufzutreiben ist. Und noch etwas: Bevor ich diese Magie für euch versuchen werde, will ich sieben Meter Seide, Nadeln, Zwirnspulen und fünftausend Glöckchen haben, wie sie für Tanzschuhe verwendet werden.«
»Fünftausend? Woher soll ich …?«
»Du weißt, wofür ich sie brauche«, unterbrach ich ihn. »Ich möchte mich nicht ohne den Klang der Glöckchen meines Lebens auf den Weg in den Tod machen. Tu nicht so, als ob das nicht eine andere Art Mord ist. Am Herzog, wenn ich Glück habe, und an mir fast sicher.«
»Nein, n … nein«, stammelte er. »Sie stehen dir zu.«
»Dann sind wir uns einig.«
Die Tanzmistress nickte langsam mit gequälter Miene. Ich schenkte ihr ein schwaches, echtes Lächeln. Sie verdiente etwas von mir außer Wut und Verachtung. Die Mädchen, die nach mir gekommen wären, verdienten alles, was ich geben konnte. Selbst mein Leben. Wenn das getan war, würde ich zu Hause sein.
Meine Großmutter hätte es gutgeheißen. Ebenso der Ochse.
Die wirkliche Zahl der Tage meines Lebens habe ich nie gewusst. Die Zählung wurde unterbrochen, als Federo mich von Papa wegholte. Ich verstand es damals noch nicht, aber die Glöckchen der verlorenen Seide wären die Erinnerung für mich gewesen, bis ich alt genug war, die Tage selbst zählen zu können. Obgleich ich mehrfach versucht hatte, meine Glöckchenseide wiederherzustellen, konnte ich die Zahl immer nur schätzen. Und die Zählung in meiner Phantasie all die Jahre war eher die Schätzung einer Schätzung gewesen.
Das waren meine Tage. Vom Beginn meines Lebens hatte ich fast alles verloren, außer ein paar Erinnerungen.
Der Dachboden war ein geschlossener, selbst im Herbstwetter warmer Raum. Federo und die Tanzmistress hatten mich wieder verlassen, dieses Mal für längere Zeit. »Wir können hier nicht ein und aus gehen, ohne Aufmerksamkeit auf dich zu lenken«, hatte er gesagt.
»Wir kommen wieder, wenn wir alles haben, was du brauchst«, erklärte sie mir.
Ich saß mit salzigem Käse und altem Brot und Wasser, das nach Dach schmeckte, am Tisch und fragte mich, was ich anders hätte machen können. Was ich als Nächstes tun würde.
Als ich des Nachgrübelns über all die Wenn und Aber müde wurde, wandte ich meine Aufmerksamkeit der Welt außerhalb meines neuen Gefängnisses zu. Es war zu gefährlich, das Fenster sauber zu machen. Durch den Schmutz konnte ich nicht auf die Straße hinabsehen. Ich konnte hören, was im Lagerhaus unten vorging, wenn ich angestrengt lauschte, und ich entdeckte, dass, wenn ich unter dem runden Fenster saß, der Straßenlärm zu mir heraufdrang.
Einige Geräusche vermochte ich leicht zu deuten. Vorüberrollende Pferdegespanne, begleitet von Rufen oder dem Knallen der Peitsche des Kutschers. Gelegentlich hielten
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