Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
hingen an den Wänden, und Modelle standen auf kleinen Tischen. Zu einer anderen Zeit hätte ich sie mir gerne genauer angesehen.
Die Fenster waren Flügelfenster mit kleinen Kurbeln, um das Glas an Scharnieren nach außen zu drehen. Ich ging zu einem in der Mitte und blickte hinaus auf Rhododendrenbüsche und einen kleinen Bestand an Eschenahornbäumen gleich dahinter. Hier war es nicht so laut. Niemand schien hier Pflastersteine zu werfen.
Einen Augenblick später war ich draußen unter den Büschen. Vernunft überwog schließlich meinen Stolz, und ich rollte meine Glöckchenseide zu einem Bündel zusammen. Dann verließ ich den Garten und mischte mich unter die Menschen, die von der Höhenstraße auf das Haupttor des Palastes zuströmten. Eine aufgeregte Meute, die auf Blut aus war, ausgerüstet mit Fackeln, Knüppeln und eisernen Gerätschaften.
Ein Mann in einem hellen Anzug im Schnitt eines Mittelklassehändlers packte mich. Ich erschrak und wand mich, um ihn gegen das Knie zu treten.
»Passiert es noch immer da drinnen?«, brüllte er. Er sah mich nicht einmal an. Seine blutunterlaufenen Augen waren wild und wirr.
»Ich … ich weiß es nicht.« Es war mir zuwider, wie dünn und verängstigt meine Stimme klang.
»Der Herzog ist tot, lang lebe der Herzog!« Er blickte sich um und nahm mich zum ersten Mal wahr. »Geh heim, Mädchen. Hier wird es jetzt gefährlich für Ausländer.«
»Green«, flüsterte ich. Ich nickte dankend und nahm die erste Seitenstraße, die ich erreichen konnte, nachdem ich mich durch den zusammenströmenden Mob gekämpft hatte.
Es war gelungen. Ich war frei und aus dem Palast und auf einem Weg, den ich selbst gewählt hatte. Ich war ich selbst und niemandes Besitz, zum ersten Mal seit meinem Eintreffen in dieser verfluchten Stadt. Sie würden keine Federos mehr ausschicken, um Kinder zu kaufen. Nicht mehr diese Bande, der ich das Handwerk gelegt hatte.
Ich nahm mir den Rat des Händlers zu Herzen und machte mich auf den Weg zum Hafen. Nichts hielt mich mehr in Copper Downs. Vielleicht konnte ich zu dem zurückkehren, was ich gewesen war – nicht ein Mädchen unter dem Bauch des Ochsen ihres Vaters sicherlich, aber zu dem, was aus dem Mädchen geworden wäre.
Da ich nicht erwartet hatte, zu überleben, fehlte mir auch der Plan für meine nächsten Schritte. Jetzt, da mir der Rat des Händlers einen Weg wies, überraschte es mich, dass ich Bedauern über das verspürte, was ich zurückließ.
Nicht das geringste Bedauern verspürte ich jedoch, dass ich das Haus des Faktors nicht wiedersehen würde. Das war nur eine gut ausgestattete Sklavenhöhle, nichts weiter. Einige meiner Mistresses waren freundlich gewesen. Mistress Danae, zum Beispiel. Und wenn ich Freunde in diesem Leben hatte, dann waren das Federo und die Tanzmistress.
Wenn ich ein Schiff nahm, würde ich sie nie wiedersehen. Woran ich zuvor keinen einzigen Gedanken verschwendet hatte, bedauerte ich nun mehr, als mir lieb war. Der Tod des Faktors rührte mich nicht, aber der von Mistress Tirelle gab mir einen Stich ins Herz.
Während ich zum Hafen hinabschritt, wischte ich mir die Tränen aus den Augen. Zuvor war keine Zeit gewesen, sich zu verabschieden. Nun war es zu spät.
Als ich endlich im Hafen ankam, herrschte ein Chaos an den Kais, das mich verwirrte. Die Menge benahm sich fast panisch, jeder rücksichtslos und in Eile. Ich brauchte ein Schiff nach Selistan. Wenn ich auf einem Schiff landete, das zum Sonnenmeer fuhr, würde das vermutlich ein nicht mehr rückgängig zu machender Fehler sein.
Es hing alles davon ab, wie gut ich mich ausdrückte. Es gab genug Geschichten in Mistress Danaes Büchern über blinde Passagiere und Reisende, die für ihre Überfahrt arbeiteten. Aber in keiner waren es dunkelhäutige Mädchen gewesen.
Meine Hautfarbe hatte innerhalb der Blausteinmauern des Granatapfelhofes keine Rolle gespielt. Hier draußen mochte sie Tod oder Leben bedeuten. Ebenso meine Worte. Ich wusste schon immer, dass diese Menschen durch ihre Worte lebten und starben.
Ich ging raschen Schrittes ohne ein direktes Ziel. Wenn ich stehen bliebe und gaffte, würde ich nur unnötig Aufmerksamkeit erregen. Stattdessen sah ich mir jedes Schiff an jeder Anlegestelle aus der Nähe an, so weit das möglich war.
Einige hatten Schilder mit ihrem Ziel ausgehängt. Die meisten fuhren zu Häfen an der Steinküste – Houghharrow, Dun Cranmoor, Lost Port. Diese kannte ich alle aus Geschichten und Landkarten. Eines hatte
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