Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Türschwelle war versengt, ebenso der Teppich davor, und zwar in einem Strahlenmuster, als hätte in dem Raum hinter mir eine Explosion stattgefunden. Papiere waren an einer Wand entlang verstreut. Dort lag auch ein einzelner verlorener Schuh. Die Menschen mussten Hals über Kopf geflohen sein. Ich schloss die Tür und musterte den Spalt am Boden.
Was hatte ich überlebt?
Wir waren von links gekommen, als wir den Raum betraten. Die endlosen Übungen im Untergrund machten sich nun bezahlt. Meinen Weg zu finden war kein Problem. Ich wischte mir den blutigen Staub vom Gesicht und den Händen und ging den Weg zurück zum Ende des Ganges, der in eine breitere Halle mit Büchergestellen und geschmückten kleinen Tischen mündete.
Auch dort befand sich niemand. Die Decke war hier drei oder vier Stockwerke hoch mit einer langen Fensterreihe, um das Licht einzulassen. Schmale Banner hingen von den Balken dreißig Fuß weit bis zur Höhe einer normalen Decke herab. Dieser Baustil war, wie ich im Laufe der Zeit lernte, typisch für die Architektur in dieser Stadt.
Auch noch weiter von der Explosion entfernt hatten die Menschen in Panik das Weite gesucht. Ein fallen gelassenes Tablett lag in den Scherben einer Kristallkaraffe und verschüttetem Wein. Drei Ledermappen sah ich zerknittert neben einem Tischgestell liegen, auf dem die Statue eines roten Gottes mit breitem Mund stand, dessen hervorquellende Froschaugen mir im Vorbeigehen zu folgen schienen.
Ich konnte das Geschrei nun deutlicher hören, in das sich die Geräusche von Pferden und splitterndem Glas mischten. Ein Volksaufstand.
Wie konnte es so schnell dazu kommen? Waren denn die Schergen des Herzogs allesamt mit ihm verschwunden? Ich versuchte, mir die Hofbeamten, die Anführer der herzoglichen Garde oder einen Steuereintreiber vor einer Schar untertäniger, frisch eingelaufener Schiffskapitäne vorzustellen, die alle überrascht aufschrien und in einer Staubwolke untergingen wie der Herzog vor meinen Augen. Das musste gewiss eine augenblickliche Schockwelle durch die Stadt senden.
Ich begann mich zu fragen, was ich wirklich getan hatte. Ein Mann konnte nicht über Jahrhunderte regieren, ohne dass die Auswirkungen seines Machtgebrauches jeder Einzelne zu spüren bekam, der ihm diente oder in seinem Regentschaftsbereich lebte. Wie sehr war die Stadt ihm verfallen gewesen?
Wie sehr kümmerte mich das?
Eine Dienerin, die jünger als ich sein musste, floh bei meinem Anblick schreiend in einen Korridor. Ich folgte weiter meinen Erinnerungen an den Weg herein und kam vom Teppich auf den Steinboden. Vor mir, unterhalb einer kurzen Treppe, stand ein kleiner Haufen der herzoglichen Garde vor den großen mit Kupfer beschlagenen Eichentüren, über denen bunte Glasfenster eingelassen waren. Alles war verschlossen und verriegelt. Pflastersteine lagen verstreut am Boden inmitten von Glasscherben. Die Menge draußen war sehr laut.
Mit klingenden Glöckchen ging ich auf die Wachen zu. Ich hatte nichts mehr zu verbergen. Einer von ihnen mit einem goldenen Knopf an der Schulter seines grünen Uniformmantels blickte mir entgegen.
»Du da … geh nicht durch dieses Tor!«
»Warum nicht?«, fragte ich und straffte mich würdevoll.
»Weil sie dich da draußen umbringen werden.« Er klang mehr verärgert als verängstigt. »Alles ist aus dem Ruder gelaufen.«
Alle Unsterblichen des Herzogs mussten wahrhaftig zu Staub zerfallen sein. Zu meinem großen Glück wussten diese Wachen nicht, wer ich war. Ich dankte allen Göttern, dass man mir auf dem Weg herein das Gesicht verhüllt hatte.
»Danke, Sir. Ich war zur Besichtigung hier. Gibt es einen Ausgang, den ich benutzen kann?«
»Versuch es durch die Marinehalle dort drüben links.«
Einer der Männer sagte: »Wenn du dir das zutraust, Mädchen, spring aus einem der Fenster. Dann bist du im Eschenahorngarten, aber ein Tor führt hinaus auf die Höhenstraße. Die Menge da draußen konzentriert sich vor dem Haupttor und denkt wohl noch nicht daran, wie viele andere Eingänge es in den Palast gibt.«
»Beeil dich lieber«, fügte der Korporal hinzu. »Hier zu warten ist sinnlos.«
Ich nahm sie beim Wort, hielt mich links und hoffte, dass dort die Marinehalle war. Keine Rufe korrigierten mich.
Ich wusste sofort, dass ich richtig war. Die Decke zeigte ein Schlachtengemälde mit einem dickbauchigen, qualmenden Schiffsrumpf aus einer anderen Epoche, der von langen schlanken Schiffen eingekreist war. Steuerräder und Schiffsglocken
Weitere Kostenlose Bücher