Der verbotene Fluss
ist traurig, wenn man nur ein einziges Kind hat, das einem solche Sorgen macht.«
Tom nickte zustimmend. »Umso tragischer, dass es diese liebevolle Mutter verloren hat. Wissen Sie etwas über das Kind?«
»Dazu kann ich leider nichts sagen, Mr. Ashdown. Seit der Fall abgeschlossen wurde, habe ich nur noch in politischen Fragen mit Sir Andrew zu tun gehabt«, erklärte der Journalist. »Die Leute aus Dorking dürften mehr darüber wissen, vielleicht auch der Geistliche aus Mickleham, Mr. Morton, der der Familie als Seelsorger beigestanden hat.«
Tom notierte sich den Namen, den er bereits aus Fräulein Paulys Aufzeichnungen kannte.
»Dann würde ich mir jetzt gern Ihre Unterlagen anschauen«, sagte er mit einem Blick auf die Mappe.
»Selbstverständlich, Mr. Ashdown. Ich bin verabredet. Sie können gern mein Büro benutzen und die Mappe danach auf dem Tisch liegen lassen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«
Er griff nach Hut und Mantel, nickte Tom zu und verließ die Redaktion.
Tom zündete sich, verwundert über so viel Vertrauen, die Pfeife an, schlug die Mappe auf und begann zu lesen.
Eine Stunde später klappte er die Unterlagen zu, legte sie auf den Schreibtisch und sog nachdenklich an der erkalteten Pfeife. Nichts in den Berichten deutete auf eine unglückliche Ehe oder andere Umstände hin, die als Motiv für einen Selbstmord hätten dienen können. Angesichts des tragischen Vorfalls und der Tatsache, dass es sich um die Ehefrau eines angesehenen Abgeordneten handelte, war man bei der Berichterstattung sehr taktvoll vorgegangen. Falls es Gerede gegeben hatte, spiegelte es sich nicht in den Artikeln von Mr. Phillips wider. Tom klopfte nachdenklich mit dem Daumennagel gegen die Schneidezähne.
Dann schüttelte er den Kopf und stand auf. Nein, so kam er nicht weiter. Er musste sich die Umgebung genau anschauen, das Kindermädchen kennenlernen und doch mit Emily sprechen. Er hatte gehofft, die Kleine so lange wie möglich schützen zu können, ahnte aber, dass sie der Schlüssel zu allen Rätseln war. Jedes Wort, das Fräulein Pauly gesprochen und geschrieben hatte, deutete darauf hin. Allerdings bezweifelte er, dass dem Abgeordneten seine Ermittlungen gefallen würden.
»Natürlich steht es Ihnen frei, sich mit allen Personen in diesem Haushalt zu unterhalten«, erklärte Sir Andrew förmlich. »Dass ich Sie um Rücksicht auf meine Tochter bitte, habe ich bereits erwähnt. Sie ist noch jung, hat schwere Zeiten erlebt und sollte nach Möglichkeit nicht über die Maßen beunruhigt werden. Takt und Behutsamkeit sind daher unabdingbar.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Tom. »Ich werde nichts unternehmen, ohne dass Fräulein Pauly oder das Kindermädchen zugegen sind.« Sir Andrew erhob sich und läutete.
»Susan, führe Mr. Ashdown bitte ins Schulzimmer.«
Das Hausmädchen knickste, und Tom folgte ihr in die Eingangshalle und die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort blieb Susan vor einer Tür stehen und klopfte.
»Herein.«
Sie öffnete und ließ Tom eintreten. Vier Augen schauten ihm überrascht entgegen. Charlotte Pauly erhob sich hinter ihrem Pult. »Danke, Susan, du kannst gehen.«
Dann kam sie auf ihn zu. »Mr. Ashdown, wie schön, dass Sie uns besuchen. Das ist eine Überraschung.«
Er bemerkte Emilys neugierigen Blick und nickte ihr zu. »Guten Morgen, Miss Clayworth.«
»Guten Morgen. Schreiben Sie heute nicht über das Theater?«
Er lächelte. »Nein, heute nicht. Ich würde gern einmal eurem Schulunterricht beiwohnen. Darf ich?«
Das Mädchen nickte. »Wir haben gerade Deutsch. Da können Sie vielleicht noch etwas lernen.«
Er sah, wie Fräulein Pauly ein wenig rot wurde, und setzte sich auf einen Stuhl in die Ecke, wo er am wenigsten störte.
Die Gouvernante nahm wieder Platz und fuhr in ihrem Unterricht fort, ohne ihn weiter zu beachten. Der Ton ihrer Stimme war anders, wenn sie Deutsch sprach, und das Deutsche erschien ihm weicher und wohlklingender, als er erwartet hatte. Er ver stand kaum etwas und ließ die Worte an sich vorbeiziehen wie ein angenehmes Meeresrauschen oder das Plätschern eines Bachs.
Als Fräulein Pauly die Lektion beendet hatte, schaute sie ihn auffordernd an. »Mr. Ashdown, mögen Sie auch Märchen? Emily hört sie gern, und ich habe ihr schon einige aus meiner Heimat erzählt.«
Er wusste nicht, ob sich hinter ihrer Frage eine Absicht verbarg oder ob sie ihm rein zufällig den Ball zugespielt hatte. »Als kleiner Junge habe ich gern Märchen
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