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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Zimmer an diesem Abend noch einmal zu betreten.
    Als sie sich aufs Sofa gesetzt hatte, bemerkte sie, dass Mrs. Evans in der Tür stand und die Hände in den Stoff ihres Rocks gekrallt hatte.
    »Setzen Sie sich doch«, sagte Charlotte. »Es ist ein großer Schock für uns alle.«
    Mrs. Evans nahm mit gesenktem Kopf auf einem Stuhl Platz. »Ich … Ich kann das nicht glauben, Miss Pauly. Sie war hier im Haus! Und ich habe es nicht bemerkt. Das begreife ich einfach nicht.«
    »Sie haben nicht damit gerechnet, Mrs. Evans, und warum sollten Sie auch? Wir alle haben geglaubt, dass Lady Ellen ertrunken sei.«
    Die Haushälterin schüttelte entschieden den Kopf. »Aber es sind seltsame Dinge geschehen. Der Überfall auf Mr. Ashdown. Die Unruhe nachts. Sie haben doch schon früher vermutet, dass jemand ins Haus eingedrungen sei.«
    »Aber niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass es Lady Ellen gewesen sein könnte.« Während sie der Frau, die gewöhnlich so selbstsicher und überlegen wirkte, Mut zusprach, wurde sie selbst allmählich ruhiger. »Ich glaube, wenn das alles vorbei ist, wird in Chalk Hill endlich Frieden einkehren.«
    »Meinen Sie, Sir Andrew wird hier wohnen bleiben?«
    Charlotte wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen. »Das kann ich nicht sagen, Mrs. Evans. Er weiß noch nicht einmal, dass seine Frau …«
    Der Kopf der Haushälterin zuckte unvermittelt in die Höhe. »Woher wussten Sie eigentlich, dass etwas geschehen ist? Sie und Mr. Ashdown sind doch nicht ohne Grund noch am Abend aus London angereist.«
    Charlotte war froh, als sich die Tür öffnete und ein blasser Tom Ashdown hereinkam. Superintendent Jones verabschiedete sich und erklärte, er werde am nächsten Tag um die Mittagszeit erneut vorsprechen.
    »Bis dahin wird Sir Andrew hoffentlich eingetroffen sein.«
    »Ich führe Sie hinaus«, sagte Mrs. Evans und erhob sich von ihrem Stuhl.
    Charlotte bemerkte, dass Mr. Ashdowns Hand zitterte, als sie ihm das Glas reichte.
    »Darf ich Sie etwas fragen?«
    Er kam ihr zuvor. »Vor drei Jahren ist meine Frau gestorben.«
    Sie setzte sich in einen Sessel. Ihr Atem erschien ihr plötzlich unnatürlich laut.
    »Seitdem habe ich keine Tote mehr gesehen. Oder berührt.« Er trank den Rest des Whiskys auf einen Zug aus. »War es das, was Sie fragen wollten?«
    »Eigentlich nicht.« Sie zögerte. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie an etwas erinnert habe, über das Sie gewiss nicht sprechen möchten.«
    »Nicht heute. Ein anderes Mal schon.«
    Sie saßen eine Weile lang schweigend da. Dann schaute Charlotte ihn an und sagte mühsam: »Sie haben schon seit einer Weile geahnt, dass Lady Ellen noch am Leben war, nicht wahr?«
    »Es war die einzige logische Erklärung für den Überfall auf mich«, sagte er mit Bedacht. »Ich war mir sicher, dass es eine Frau war, die mit der Kraft der Verzweiflung – oder des Wahnsinns – kämpfte. Wer sonst hätte es sein sollen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich schien?«
    »Das erklärt natürlich, was Emily in all den Nächten gesehen und gehört hat. Es waren weder Träume noch Begegnungen mit Geistern – es war ihre Mutter, die sich ins Haus geschlichen hat oder von jemandem hereingelassen wurde. Und wenn Lady Ellen nicht kam, hat Emily am Fenster gestanden und nach ihr Ausschau gehalten. Lauter rationale Erklärungen, die sich vermutlich sogar beweisen lassen. Aber …« Sie schluckte. »Aber das ändert nichts daran, dass Emily uns heute Abend hierhergeschickt hat. Sie hat gewusst, was in Chalk Hill passierte.«
    Er schwieg so lange, dass Charlotte schon glaubte, er werde nicht mehr antworten.
    »Als ich den Auftrag übernahm«, sagte er schließlich, »habe ich nicht damit gerechnet, dass ich mich tatsächlich etwas gegenübersehen könnte, das ich mit dem Verstand nicht erfassen kann. Und lange Zeit war ich mir sicher, dass es für alles, was wir hier erleben, eine natürlich Erklärung gibt. Bis heute. Charlotte, mir scheint, ich habe mich getäuscht.«

35
    Aussage von Nora Burke, Mickleham, aufgenommen am 15. November 1890 durch Inspector Williams, Dorking Constabulary:
    Ich bin Nora Jane Burke, geboren am 2. März 1865 in Mickleham. Ich habe acht Jahre lang als Kindermädchen von Emily Clayworth gearbeitet. Ihre Mutter, Lady Ellen Clayworth, hat mich eingestellt, weil sie meine Großmutter gut kannte, die früher bei ihr in Diensten war.
    Ich habe mich immer gut mit Ihrer Ladyschaft verstanden. Sie war freundlich zu mir und hat mir die Kleine

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