Der verbotene Fluss
gut.«
»Warum?«, fragte er überrascht.
»Wir freuen uns über jede Unterstützung, und mir scheint, dass Sie den Spiritismus mit wachem Blick und großer Objek tivität betrachten. Wenn Sie unsere Untersuchungen auf farbige und doch sachliche Weise schildern könnten, wäre damit viel gewonnen. Nicht jeder Wissenschaftler besitzt Talent zum Schreiben.«
»Aber ich verstehe überhaupt nichts von Spiritismus«, erwiderte er entschieden und gestattete sich eine Notlüge. »Ich – war zum ersten Mal bei einer solchen Veranstaltung.«
»Das mag sein. Dennoch habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie einen guten Blick für solche Dinge haben. Sagen Sie mir, was Sie dort drinnen gesehen und gedacht haben.« Mrs. Sidgwicks Stimme duldete keinen Widerspruch, so freundlich sie auch klingen mochte. Ob sie so wohl ihren Studentinnen begegnete?
»Nun, es war auffällig, dass auf Ihrer eigenen Tafel keine Schrift erschienen ist. Möglicherweise war seine eigene also präpariert. Außerdem haben Sie und er sie unter den Tisch gehalten, während darauf geschrieben wurde. Das Geräusch erschien mir unnatürlich laut, gerade so, als sollte es gehört werden.«
»Gut.« Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Der Bereich unter dem Tisch lag im Schatten. Ich konnte trotz aller Anstrengung nicht erkennen, ob er etwas mit seinen Beinen oder Füßen angestellt hat. Hinter ihm befand sich ein Vorhang. Die Lampe über dem Tisch war so platziert, dass nur die Tischplatte selbst beleuchtet wurde.«
»Weiter.«
Tom kam allmählich in Fahrt, und sein Schritt wurde energischer, sodass Mrs. Sidgwick den ihren beschleunigen musste.
»Außerdem hat er die Leute mit Bemerkungen abgelenkt. Einmal bat er Mrs. Burton, etwas aus dem Nebenraum zu holen, das störte die Aufmerksamkeit des Publikums. Selbst ich kann nicht beschwören, dass ich den Tisch die ganze Zeit über im Auge hatte, sosehr ich mich auch bemüht habe.«
Mrs. Sidgwick blieb stehen und streckte ihm lachend die Hand entgegen. »Herzlich willkommen in der Society for Psychical Research.«
10
September 1890, Chalk Hill
Charlotte wollte verhindern, dass Sir Andrew von der Begegnung in der Teestube erfuhr, da sie fürchtete, er würde ihnen weitere Ausflüge untersagen. Es war nicht leicht gewesen, Emily zu beruhigen. Sie hatten sich noch einige Schaufenster im Ort angesehen, darunter das eines Handarbeitsgeschäfts, in dem hübsche Garne und Stickmuster ausgestellt waren. Charlotte hatte sich daran erinnert, dass Emilys Vater Wert auf Handarbeiten legte, und das Mädchen eine Stickvorlage aussuchen lassen, die ihm gefiel.
Die Vorlage zeigte einen Zweig mit Blättern und Blüten und sollte ein Weihnachtsgeschenk werden, mit dem Emily ihrem Vater eine Freude bereiten konnte.
Als sie auf dem Rückweg in der Kalesche saßen, begann Emily plötzlich wieder zu weinen. Charlotte bemühte sich nach Kräften, sie noch vor der Ankunft in Chalk Hill zu trösten, da sie nicht mit einem verweinten Kind Aufsehen erregen wollte. Sie konnte nur hoffen, dass sich Wilkins als diskret erweisen würde.
Zu Hause angekommen, schickte sie Emily rasch nach oben ins Schulzimmer und bat Susan, ihnen das Abendessen heraufzubringen. Zum Glück würde Sir Andrew, wie sie von dem Hausmädchen erfuhr, an diesem Abend auswärts speisen, sodass sie die Unruhe seiner Tochter vor ihm verbergen konnte.
Emily war ziemlich erschöpft von dem langen, ereignisreichen Tag und aß nur wenig. Danach rief Charlotte nach Nora und bat sie, das Mädchen ins Bett zu bringen.
Nora nahm Emily freudig in Empfang und warf Charlotte einen dankbaren Blick zu. »Ich kümmere mich um alles, Miss. Und ich sehe nach, ob das Fenster auch wirklich geschlossen ist«, setzte sie eifrig hinzu.
»Gute Nacht, Emily. Morgen spielen wir wieder zusammen Klavier.«
»Ja, Fräulein Pauly. Gute Nacht.« Emily trat spontan näher und drückte kurz den Kopf an Charlottes Brust, bevor sie ebenso rasch zurückwich.
Charlotte begab sich nach unten und fand Mrs. Evans in dem kleinen Raum neben der Küche, in dem sie ihre Verwaltungsarbeit erledigte. Er war winzig und nur mit einem Tisch, einem Sekretär, einem Stuhl und einem schmalen Regal eingerichtet. Die Haushälterin schaute sie überrascht an, als sie eintrat.
»Ja, bitte?« Sie nahm die Brille ab und legte sie auf ein aufgeschlagenes Kontobuch.
»Ich möchte kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen«, sagte Charlotte und warf über die Schulter einen Blick in Richtung Küche.
»Schließen
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