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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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herausnahm.
    »Sie haben Post bekommen. Es fiel mir gerade erst wieder ein.« Sie reichte Charlotte den Umschlag aus teurem, cremefarbenem Papier.
    Verwundert griff sie danach, bedankte sich und verließ rasch den Raum. Im Gehen warf sie einen Blick auf den Brief und blieb abrupt stehen.
    In ihrem Zimmer ließ sich Charlotte schwer aufs Bett fallen und streifte die Stiefel von den Füßen. Dann drehte sie den Umschlag lange in den Händen, bevor sie ihn zögernd öffnete.
    Der Anblick der vertrauten Handschrift traf sie wie ein Stich. Sie atmete tief durch, bis sich ihr Herzschlag ein wenig beruhigt hatte. Woher kannte er ihre Anschrift? Wo hatte er sich danach erkundigt? Etwa bei ihrer Mutter? Oder bei der Agentur, die ihr die Stelle in Chalk Hill vermittelt hatte?
    … ist es mir ein Bedürfnis, dir noch einmal zu sagen, wie tief ich diese unglückseligen Ereignisse bedauere. Alles hatte sich gegen uns verschworen … Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke und dein Bild im Herzen bewahre. Ich konnte es nicht ertragen, dich leiden zu sehen … Dass man dir die Schuld an allem gab, ist allein meiner Mutter zuzuschreiben, wie du sicher weißt. Ich versichere dich meiner immerwährenden Treue …
    Es war, als schöbe jemand einen Vorhang zurück, und Charlotte sah wieder die elegante Villa im Grunewald, in der sie Luise und Caroline von Benkow unterrichtet hatte. Sie erinnerte sich an den Sommertag, an dem die Sonne helle Flecken an den Wänden tanzen ließ und jemand ungestüm an die Tür des Schulzimmers klopfte, und wie die Mädchen aufgesprungen waren, als der junge Mann in der eleganten Uniform eintrat.
    »Friedrich!«, hatten sie gerufen und waren dem Offizier um den Hals gefallen, bevor sie ihn stolz ihrer Hauslehrerin vorstellten.
    Leutnant Friedrich von Benkow war groß und blond und gut aussehend, doch das war es nicht, was Charlotte bei jener ersten Begegnung besonders aufgefallen war. Nein, es war das Funkeln in seinen Augen gewesen, die kleinen Lachfältchen und sein Mund, der immer zu lächeln schien.
    »Ein solches Juwel versteckt Mutter im Schulzimmer?«, hatte er unbekümmert gefragt, während Charlotte das Blut in die Wangen geschossen war.
    Ihre Vernunft hatte sich widersetzt, hatte sie leise und beharrlich davor gewarnt, dem Werben dieses Mannes nachzugeben. Doch er kam immer häufiger vorbei, wenn sie die Mädchen unterrichtete, mit ihnen beim Tee saß oder sie bei den Tanzstunden beaufsichtigte. Und irgendwann hatten ihre Gefühle die Vernunft verdrängt.
    Der Vorhang schloss sich. Charlotte sprang abrupt auf und wischte mit den Händen über den Rock, als müsste sie sich von der Berührung des Papiers und den scheinheiligen Worten reinigen. In diesem Augenblick erkannte sie, wie richtig es gewesen war, diese neue Stelle anzunehmen.
    Eine Antwort auf den Brief würde es nicht geben.

11
    Am Samstag wirkte Emily erholt und ausgeschlafen. Sie probten ihr Klavierstück, und es klang mit jeder Wiederholung flüssiger.
    »Du machst das sehr gut«, lobte Charlotte das Mädchen.
    »Heute Abend bin ich sicher nervös«, sagte Emily und schaute sie zweifelnd an.
    »Stell dir einfach vor, wir säßen allein dort. Du musst vergessen, dass andere Menschen um dich herum sind und zuhören. Wir spielen nur für uns beide, dann gelingt es schon.«
    Emily nickte und beugte sich mit geröteten Wangen über die Tastatur, bevor sie noch einmal von vorn begann.
    Zum Glück waren sie gerade mit der Probe fertig, als Sir Andrew eintrat und Charlotte um eine kurze Unterredung bat. Seiner Tochter nickte er flüchtig zu, bevor sie das Zimmer verließ.
    »Wir haben uns in den letzten Tagen kaum gesehen. Ich hoffe, Ihr Ausflug ist angenehm verlaufen«, sagte er und trat ans Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
    »Ja, ich habe die Gegend ein bisschen kennengelernt, und Emily hat mir einiges erklärt«, erwiderte sie höflich, während sie ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. In seiner Stimme schwang etwas mit, das sie nicht benennen konnte.
    »Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass Sie mich über den gesundheitlichen und seelischen Zustand meiner Tochter auf dem Laufenden halten müssen.«
    Sie schluckte. »Gewiss.«
    »Haben Sie mir also irgendetwas zu sagen?«
    Worauf wollte er hinaus? Sollte er doch von der Begegnung mit Tilly Burke und von Emilys Kummer erfahren haben? Aber von wem? Wilkins würde seinen Arbeitgeber wohl kaum mit solchen Geschichten behelligen.
    »Auf der Rückfahrt war Emily

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